Also nehmt uns so als würdet ihr unsere Behinderung nicht sehen, also ganz einfach
Bitte sprich für dich. Ich sehe die Behinderung und Einschränkung meiner Mitmenschen schon.
Wenn mir eine gehörlose Person begegnet und ich diese Tatsache einfach ignorieren würde, würde ich keinerlei Rücksicht nehmen. Da ich aber ein wenig die Gebärdensprache kann und auch sehr deutlich spreche (Lippenlesen und so), klappts auch mit der Kommunikation.
Wenn mir eine blinde oder stark sehbehinderte Person begegnet, weiche ich automatisch aus oder gebe akustisches Signal, dass es möglicherweise eng wird
, weil ich dieser Person einfach den Weg frei machen möchte und diese nicht zusätzlich behindere.
Oder ein ganz anderes Beispiel: Wenn ich beim Lift einen Kinderwagen bemerke, lasse ich diesen immer zuerst hinein, weil ich wendiger bin und schneller den Lift verlassen kann. Ich schlichte mich immer so in Lifte oder in die U-Bahn, dass ich niemanden im Weg bin, der möglicherweise über mich stolpern kann.
Jemandens Behinderung wahrzunehmen bedeutet nur, dass ich mich im Idealfall rücksichtsvoller verhalte, was nicht mit Mitleid zu tun hat. Ich sehe hin, nehme wahr und handle. Das erleichtert ja auch mein Leben. Es geht um Achtsamkeit und eine Art Miteinander, das ernsthaftes Interesse am Gegenüber zeigt, ohne voyeuristisch zu agieren.
Ich möchte, dass man meine Behinderung sieht, wahrnimmt und damit umgeht. Ich möchte, dass man mich so sieht, wie ich bin ohne das man etwas ignorieren muss, weil politisch nicht korrekt wäre. Ich will, dass man drüber redet, fragt, offen und ehrlich, weil jeder da draußen mit seinen eigenen Einschränkungen zu tun hat und jede Form der Horizonterweiterung auch für jeden Einzelnen wichtig ist.
Und nein, es ist nicht so einfach. Jeder von uns sieht eine Person vor sich und (be)wertet diesen - das passiert unbewusst. Das ist erstmal neutral und hat nichts damit zu tun, jemanden gering zu schätzen, aber nur so können wir feststellen, ob mein Gegenüber möglicherweise ein Feind oder im besten Fall ein Freund ist. Wir achten alle unterschiedlich auf Mimik, Gestik, Körperhaltung und ist mein Gegenüber physisch außergewöhnlich, dann schaut man natürlich noch mehr hin. Verhält sich diese Person auch noch ungewohnt, dann wirds spannend. Man fragt sich unweigerlich, was es mit dieser Person auf sich hat und ja - man wertet. Je nachdem, welchen persönlichen Bildungsgrad, Erfahrungen, Erziehung und kulturellen Hintergrund man hat, kommen dann auch noch Klischees hinzu.
Letztendlich ist doch die Frage wichtiger, wie ich selbst gesehen und wahrgenommen werden möchte. Ich möchte nicht als Gesamtkunstwerk übersehen werden und ich übersehe auch nicht in ihrem Gesamtkunstwerk.
Und das hat nicht mal was mit Behinderung zu tun.