VII. Buch
1. Rom stirbt und lacht
17. Das Hauptlaster der Afrikaner [Karthago] war die Unzucht in allen Formen
Hatte denn die Unzucht und Unkeuschheit, von der ich spreche, nicht allein zur Zerstörung
Afrikas hingereicht? Denn welcher Stadtteil war nicht voll Schmutz, welche Straße oder welche
Gasse innerhalb der Stadt war nicht ein Hurenhaus?
Ich muß noch viel mehr sagen: Wäre das nur das einzige, was ich gesagt habe, und wären die
unkeuschen Männer damit zufrieden, sich nur durch Unzucht mit schmutzigen Weibern zu beflecken!
Schlimmer und verbrecherischer aber ist es, daß jene Dinge, über die der heilige Apostel Paulus
in größtem Seelenschmerz klagt, sich fast bei allen Afrikanern gefunden haben; daß Männer den
naturgemäßen Umgang mit Frauen verließen und gegeneinander in ihrer Begierde entbrannten, daß
Männer an Männern Schandtaten verübten und den gebührenden Lohn für solche Verirrungen an sich
selbst empfingen. Und wie sie es nicht für wert erachteten, im Sinn zu tragen, gab sie Gott
einem widernatürlichen Fühlen preis, so daß sie Ungebührliches taten. Sagte der heilige Apostel
das von Barbaren und wilden Völkern? Nein, sondern von uns, das heißt besonders von den Römern.
18. Die Laster wurden dort sogar öffentlich verübt
Und gewöhnlich erhält eine Schandtat, wenn sie im geheimen verübt wird, noch nicht den
Charakter eines öffentlichen Frevels. Aber über allem Fluch eines riesenhaften Vergehens steht
es, wenn man das größte Verbrechen begeht und sich dessen nicht schämt. Was konnte es dort, so
frage ich, Ungeheuerlicheres geben? In einer christlichen Stadt, in einer kirchlichen Stadt,
die einst die Apostel durch ihre Lehre unterrichtet hatten, die die Märtyrer mit ihrem Leiden
gekrönt hatten, übernahmen Männer beieinander die Rolle von Frauen, und das ohne einen Schatten
von Scham, ohne irgendeine schamhafte Hülle. Und als ob es noch zu wenig Frevel wäre, wenn
durch diese Sünde nur ihre Täter befleckt wurden, wurde so das Verbrechen durch das Bekenntnis
vor aller Öffentlichkeit auch zum Verbrechen der ganzen Bürgerschaft. Es sah das nämlich die
ganze Stadt und duldete es; es sahen es die Richter und regten sich nicht darüber auf; das Volk
sah es und klatschte Beifall und dehnte auch die Gemeinschaft von Schmach und Sünde über die
ganze Stadt aus. Wenn sie nämlich auch nicht die Tat selbst allen gemeinsam machte, so machte
sie doch die Zustimmung allen gemeinsam. Aber vielleicht kommt einmal ein Ende dieses Frevels
oder irgendeine Bekehrung von dieser Sünde. Wer kann es glauben oder auch nur hören, daß Männer
nicht nur ihren natürlichen Geschlechtsverkehr in weibische Preisgabe wandelten, sondern daß
sie auch das Aussehen, den Schritt, die Kleidung und überhaupt alles änderten, was zum
Geschlecht und zum Aussehen des Mannes gehört! So sehr war alles in sein Gegenteil verkehrt
worden, daß, obwohl Männer sich über nichts mehr schämen sollten, als wenn sie Weibliches an
sich zu haben scheinen, doch gewisse Männer nichts für schändlicher hielten, als wenn sie in
irgendeiner Beziehung als Männer erschienen.
19. Die Unzucht einiger weniger befleckt das ganze Volk
Aber nur wenige, wirst du sagen, bedeckten sich dadurch mit Schande; und was nicht von der
Mehrzahl vollbracht wurde, konnte auch der Gesamtheit nicht schaden. Ich habe aber schon oben
gesagt, daß beim Volk Gottes sehr oft das Verbrechen auch nur eines einzigen Menschen vielen
zum Verderben wurde.
Trotzdem möchte ich sagen, daß dieses Laster nicht im geringen Maße geherrscht hat, sondern
maßlos, nicht weil die meisten weichlich waren, sondern weil die Weichlichkeit von wenigen die
Schande der meisten ist. Denn mögen es auch wenige sein, die solche Schmach an sich geschehen
lassen, so sind es doch viele, die durch den Schmutz der Wenigen befleckt werden. Wie nämlich
eine Dirne viele zu Ehebrechern macht, so schändet der abscheuliche Verkehr weniger
Verweichlichter fast den größten Teil des Volkes. Und ich weiß nicht, welche von ihnen vor Gott
schlimmer sind, da sie in den heiligen Schriften zum gleichen Schicksal verdammt werden. ,,Denn
weder Weichlinge", heißt es, ,,noch Knabenschänder werden das Reich Gottes besitzen." Darüber
muß man also noch mehr seufzen und trauern, daß ein solches Laster ein Verbrechen des ganzen
Staates zu sein schien und die gesamte Würde des römischen Namens mit dem Schmachzeichen eines
furchtbaren Frevels gebrandmarkt wurde. Wenn nämlich Männer Frauenkleider anzogen und die
Schritte noch kürzer machten wie Weiber; wenn sie sich gewisse Abzeichen einer greuelvollen
Unzucht anhängten und mit Frauenschleiern und -binden das Haupt verhüllten, und das öffentlich
in einer römischen Stadt, dort, in der bedeutendsten und berühmtesten Stadt: was anders war das
als eine Schmach für das römische Reich, da es erlaubt war, mitten im Herzen des Staates ein so
fluchwürdiges Verbrechen zu begehen? Ja, eine allmächtige Regierung, die dieses
Riesenverbrechen verhindern könnte, bekennt sozusagen, daß es mit Notwendigkeit geschieht, wenn
sie es mit Wissen zuläßt. Denn derjenige, in dessen Hand die Verhinderung liegt, befiehlt eine
Tat, wenn er sie nicht verhindert.
20. Die Vandalen haben sich nicht mit widernatürlichen Lastern befleckt
Aber was soll ich noch hinzufügen? Es gab keinen, der sich mit der Unkeuschheit der dortigen
römischen Weichlinge befleckt hätte. Freilich das wurde bei den Römern schon seit langem so
eingeschätzt, daß man es eher für eine Tugend als für ein Laster hielt, und jene sich eine
größere männliche Kraft zuschrieben, die die meisten Männer durch widernatürlichen Verkehr
geschwächt hatten. So kam es ja auch, daß einst Marketender den Heeren römischer Jünglinge
folgten und ihnen für ihre Verdienste auf den Kriegszügen dies sozusagen als Entlohnung ihrer
Leistungen zuerkannt wurde, daß sie, weil sie tapfere Männer gewesen waren, Männer in Weiber
verwandeln durften, O der Schande! Und das waren Römer; noch mehr sage ich, das waren Römer
nicht aus unserer Zeit; aber doch, um nicht die Alten anzuklagen: es waren Römer, aber keine
aus ganz alter Zeit, sondern natürlich schon verdorben, schon ausschweifend, bereits sich und
den Ihren unähnlich, und mehr Griechen ähnlich als Römern, so daß, wie wir schon oft gesagt
haben, es keineswegs wunderbar ist, wenn der römische Staat einmal erleidet, was er schon lange
verdient.
22. Ihre (der Barbaren) Vorschriften bekämpfen die Unsittlichkeit in vollem Umfang
Ganz anders waren also die Barbaren, von denen wir reden, die unsere Sünde und Schande bessern
sollten. Sie säuberten ganz Afrika vom Greuel weichlicher Männer, sie scheuten auch die
Berührung mit Dirnen. Und sie scheuten sie nicht bloß oder brachten sie zeitweilig zum
Aufhören, sondern sie haben völlig damit aufgeräumt.
Schwierig ist es, die Schamlosigkeit durch Wort und Befehl wegzubringen, wenn sie nicht völlig
ausgerottet worden ist; und schwierig ist es, Keuschheit durch Worte zu erzwingen, wenn sie
nicht in der Tat eingeführt wird. Jene wußten das, und sie vernichteten die Unzucht auf eine
Weise, daß sie die Dirnen schonten. Sie töteten die unglücklichen Mädchen nicht, um ihre Sorge
für Beseitigung des Lasters nicht durch Grausamkeit zu beflecken und, während sie den Wunsch
hegten, die Sünde zu vernichten, bei deren Ausrottung selbst zu sündigen. Aber so besserten sie
die Irrenden, daß ihre Tat wohl ein Heilmittel, aber keine Strafe war. Sie befahlen nämlich
allen Dirnen, zwangsweise eine Ehe zu schließen; sie verwandelten das unzüchtige Gewerbe in ein
Eheleben und erfüllten so das Wort und Gebot des Apostels, jede einzelne Frau solle ihren Mann
haben und jeder Mann seine Frau. Weil die Unenthaltsamkeit ohne diese Erlaubnis zu
fleischlichem Umgang nicht im Zaum gehalten werden konnte, wurde die Begierde des Leibes so
gesetzlich gemacht, auf daß die Unenthaltsamkeit keine Sünde mehr in sich schließe.
Nicht so die, (Barbaren) von denen wir sprechen: sie verhinderten Hurerei ebenso wie Ehebruch; sie wollen,
daß die Frauen keinem im Fleische angehören sollten als ihrem Gatten, und daß die Männer sich
keiner beigesellen sollten als ihrer Gattin. Sie lassen fleischliche Lust nicht über das
gesetzliche Ehebett hinausdringen; sie richten ihre Gesetze nach der Regel des göttlichen
Gesetzes ein, so daß sie nichts für erlaubt hielten, was Gott nicht erlaubt wissen wollte.