… die mich trägt …

A

Gast

(Gelöschter Account)
(A little story - maybe fiction, maybe true)

Neulich, als ich mal wieder feststellen musste, dass mein Abstellraum mal wieder einen kleinen Herbstputz braucht, fand ich auch eine Kiste mit alten Briefen und Handgeschriebenes aus meiner Schulzeit. Da fand ich auch einen Schnipsel – nicht groß, mit den Worten „… die mich trägt …“

Ich nehme den Schnipsel aus der Kiste und legte ihn auf den Esstisch. Ich starre drauf und es will mir nicht einfallen, wann und zu welcher Gelegenheit ich das geschrieben hatte. Ich mach mir inzwischen Tee, füttere die Katzen, schalte die Waschmaschine ein, sortiere Lehrbücher … bis es mir wie Schuppen von den Haaren fällt ….

Ich eile zum Esstisch! Oh mann, denk ich mir. Das Wohnzimmer dreht sich und ich habe das Gefühl, dass sich der Boden unter mir bewegt. Als ich aufblicke, sitze ich in meinem alten Zimmer, in dem Zimmer, wo ich die meiste Zeit als Teenager verbracht habe. Ich sehe mich um. Das Einzelbett mit sauber gemachter Bettdecke (ich war damals schon sehr pingelig, was das Bett betraf), das voll geräumte Nachtkästchen (CDs, Taschentücher, Bücher, Stifte, Teetasse) und daneben ein Ersatzbett, ebenfalls voll geräumt mit Büchern, Jacken, Klamotten, die in die Wäsche müssten, Stofftiere, Stifte, Hefte, Mappen … Das Bett war nicht zu sehen, zu viel Zeugs drauf.

Gegenüber steht ein einfacher Schreibtisch mit drei Laden, ebenfalls mit Zeugs voll geräumt. Darüber Poster von David Bowie, Cindy Lauper, Axel Rose, Bon Bovi und mein abgenudelter Stundenplan (beim Fach RW ein Totenkopf abgebildet – wie sehr ich es hasste), gegenüber der Wand voller Stofftiere und Fotos. Der Geruch eines Teenagers …

Und ich sehe mich, über den Schreibtisch hockend und etwas auf Papier kritzelnd. Kurze Haare, Pickel im Gesicht, sehr dünn und blass. Ich wog damals keine 25 kg. Ich bin 18. Vor mir steht das 18-jährige ich und ich erinnere mich an diesem Abend. Ich war mit Freunden unterwegs und das billigste Getränk, das ich mir damals leisten konnte, war Cola-Rot (Cola mit billigem Rotweinwein). Es geht mir nicht gut, wie so oft, damals. Schwere Depressionen und Suizidgedanken plagen mich in der Zeit. Hatte mal wieder einen Korb kassiert, auch mit der Familie läufts schlecht – über meine Schulleistung reden wir besser nicht. Ich bin betrunken – sehr …

Ich nähere mich ihr – oder ich nähere mich mir selbst. Ich blicke auf den Zettel, der bereits von meinen Tränen benetzt ist. Ich kann nicht genau erkennen, was sie schreibt. „Es tut mir leid“ flüstere ich leise. Sie hebt den Kopf und blickt in meine Richtung. Kann sie mich sehen? Weiß sie, dass ich hier bin? Sie senkt den Kopf wieder und kritzelt weiter.

„Es tut mir leid, dass du das alles durchmachen musst!“ … Sie hebt den Kopf und starrt auf die Wand vor ihr … David Bowie blickt sie an.

„Es wird besser, nicht gleich, aber es wird besser!“ … Sie zerknüllt den Zettel und wirft ihn durchs Zimmer. Dabei schießt sie den zerknüllten Ball durch mich durch. Ich kann den Zorn spüren, der sich wie ein Stich anfühlt. Nun blickt sie mir direkt ins Gesicht. Mein 18-jähriges Ich. „Nichts wird besser!“ – höre ich sie fauchen. Wütend … ja, ich war wütend. Ich war ein wütender Teenager … Wenn ich sagen würde, die Zeit heilt alle Wunden, dann ist es eine Lüge. Nichts auf der Welt kann jemals die Wunden heilen, die einem zugefügt werden. Wir können nur lernen den Schmerz in etwas Kreativem umzuwandeln. Doch das sage ich ihr nicht. Nicht jetzt. Zu stark blutet die Wunde.

„Was soll ich tun?!“ Ihre Stimme wirkt klein, verzweifelt, ängstlich, kindlich, verloren. Sie scheint im kleinen Raum zu verhallen.

„Kämpfe!“ - fauche ich zurück! „Kämpfe um jeden Atemzug, hörst du? Das werden nicht die einzigen Wunden bleiben. Du wirst noch viele kassieren. Kämpfe um jede scheiß Wunde. Jede Wunde bedeutet Leben, wenn du den Schmerz fühlst, kannst auch das Leben darin fühlen!“

„Ich kann das nicht!“

„Oh doch, du kannst und du wirst, weil du musst! Du wirst dich täglich entscheiden müssen, ob du lebst oder stirbst. Jeden verdammten Tag wirst du das und du wirst dich immer fürs Leben entscheiden! Weil du im Inneren weißt, dass das hier nicht das Schlimmste sein wird, was dir widerfahren wird. Oh nein, du wirst die Hölle noch kennenlernen und du wirst sie mehrmals durchlaufen – aber auch den Himmel. Du wirst Glück in seiner schönsten Form kennenlernen und du wirst einsam sein, wie nie zu vor. Du wirst Freiheit spüren, wo andere nur Gefangenschaft sehen. Du wirst lieben, mehr als du es dir jetzt vorstellen kannst. Und du wirst geliebt … mehr als du es dir auch nur im Ansatz vorstellen kannst! Für dich wird es nicht EINE Liebe geben, sondern Hunderte.“

„Wann?“ … ich wünschte, ich könnte ihr den genauen Tag nennen, aber das wäre falsch. Sie lächelt, denn die Antwort kennt sie.

„Muss ich weitermachen?“ – „Ja, um unser beiden Glück wegen, musst du das!“ – „Wie soll ich das alles schaffen?!“ – ich seufze leise „Das tust du doch schon die ganze Zeit!“

Sie blickt wieder auf den Schreibtisch – kein Zettel. Es hat sich eine kleine Tränenpfütze gebildet. Sie hebt den Kopf wieder, atmet tief durch. Sie fährt zum zerknüllten Zettel hin, hebt ihn auf und öffnet ihn. Dabei lächelt sie. „Ich habe aber Angst davor!“ – „Ich weiß!" Und die Wahrheit ist, die Angst wird uns immer begleiten, jeden Tag – immer. Es wird Tage geben, an dem sie ganz klein ist. Beinahe nicht sichtbar und es wird Tage geben, an denen sie uns nicht aus dem Bett lässt.

„Ich kann dir nichts Weises sagen oder dir einen Ratschlag geben. Deshalb bin ich nicht hier – glaub ich!“ – „Warum bist du hier?“ – Ich zeige ihr den Schnipsel mit den Worten „… die mich trägt …“, die kommt näher und liest die Zeilen laut vor. Dann lächelt sie. Sie öffnet den zerknüllten Zettel, hält ihn hoch … darauf waren die Zeilen zu lesen:

„Die Liebe, die mich trägt, wird mich retten!“

Der Raum verblasst und ich sehe nur noch mein 18-jähriges ich – lächelnd.

Der Klingelton meines Handys reißt mich aus dem Schlaf. Bin ich über meinem Esstisch eingeschlafen. Der Schnipsel vor mir liegend. Ich nehme ihn in die Hand und sehe, dass etwas durchscheint. Ich drehe ihn um und finde die Worte „Falls du mich brauchst!“
 
(A little story - maybe fiction, maybe true)

Neulich, als ich mal wieder feststellen musste, dass mein Abstellraum mal wieder einen kleinen Herbstputz braucht, fand ich auch eine Kiste mit alten Briefen und Handgeschriebenes aus meiner Schulzeit. Da fand ich auch einen Schnipsel – nicht groß, mit den Worten „… die mich trägt …“

Ich nehme den Schnipsel aus der Kiste und legte ihn auf den Esstisch. Ich starre drauf und es will mir nicht einfallen, wann und zu welcher Gelegenheit ich das geschrieben hatte. Ich mach mir inzwischen Tee, füttere die Katzen, schalte die Waschmaschine ein, sortiere Lehrbücher … bis es mir wie Schuppen von den Haaren fällt ….

Ich eile zum Esstisch! Oh mann, denk ich mir. Das Wohnzimmer dreht sich und ich habe das Gefühl, dass sich der Boden unter mir bewegt. Als ich aufblicke, sitze ich in meinem alten Zimmer, in dem Zimmer, wo ich die meiste Zeit als Teenager verbracht habe. Ich sehe mich um. Das Einzelbett mit sauber gemachter Bettdecke (ich war damals schon sehr pingelig, was das Bett betraf), das voll geräumte Nachtkästchen (CDs, Taschentücher, Bücher, Stifte, Teetasse) und daneben ein Ersatzbett, ebenfalls voll geräumt mit Büchern, Jacken, Klamotten, die in die Wäsche müssten, Stofftiere, Stifte, Hefte, Mappen … Das Bett war nicht zu sehen, zu viel Zeugs drauf.

Gegenüber steht ein einfacher Schreibtisch mit drei Laden, ebenfalls mit Zeugs voll geräumt. Darüber Poster von David Bowie, Cindy Lauper, Axel Rose, Bon Bovi und mein abgenudelter Stundenplan (beim Fach RW ein Totenkopf abgebildet – wie sehr ich es hasste), gegenüber der Wand voller Stofftiere und Fotos. Der Geruch eines Teenagers …

Und ich sehe mich, über den Schreibtisch hockend und etwas auf Papier kritzelnd. Kurze Haare, Pickel im Gesicht, sehr dünn und blass. Ich wog damals keine 25 kg. Ich bin 18. Vor mir steht das 18-jährige ich und ich erinnere mich an diesem Abend. Ich war mit Freunden unterwegs und das billigste Getränk, das ich mir damals leisten konnte, war Cola-Rot (Cola mit billigem Rotweinwein). Es geht mir nicht gut, wie so oft, damals. Schwere Depressionen und Suizidgedanken plagen mich in der Zeit. Hatte mal wieder einen Korb kassiert, auch mit der Familie läufts schlecht – über meine Schulleistung reden wir besser nicht. Ich bin betrunken – sehr …

Ich nähere mich ihr – oder ich nähere mich mir selbst. Ich blicke auf den Zettel, der bereits von meinen Tränen benetzt ist. Ich kann nicht genau erkennen, was sie schreibt. „Es tut mir leid“ flüstere ich leise. Sie hebt den Kopf und blickt in meine Richtung. Kann sie mich sehen? Weiß sie, dass ich hier bin? Sie senkt den Kopf wieder und kritzelt weiter.

„Es tut mir leid, dass du das alles durchmachen musst!“ … Sie hebt den Kopf und starrt auf die Wand vor ihr … David Bowie blickt sie an.

„Es wird besser, nicht gleich, aber es wird besser!“ … Sie zerknüllt den Zettel und wirft ihn durchs Zimmer. Dabei schießt sie den zerknüllten Ball durch mich durch. Ich kann den Zorn spüren, der sich wie ein Stich anfühlt. Nun blickt sie mir direkt ins Gesicht. Mein 18-jähriges Ich. „Nichts wird besser!“ – höre ich sie fauchen. Wütend … ja, ich war wütend. Ich war ein wütender Teenager … Wenn ich sagen würde, die Zeit heilt alle Wunden, dann ist es eine Lüge. Nichts auf der Welt kann jemals die Wunden heilen, die einem zugefügt werden. Wir können nur lernen den Schmerz in etwas Kreativem umzuwandeln. Doch das sage ich ihr nicht. Nicht jetzt. Zu stark blutet die Wunde.

„Was soll ich tun?!“ Ihre Stimme wirkt klein, verzweifelt, ängstlich, kindlich, verloren. Sie scheint im kleinen Raum zu verhallen.

„Kämpfe!“ - fauche ich zurück! „Kämpfe um jeden Atemzug, hörst du? Das werden nicht die einzigen Wunden bleiben. Du wirst noch viele kassieren. Kämpfe um jede scheiß Wunde. Jede Wunde bedeutet Leben, wenn du den Schmerz fühlst, kannst auch das Leben darin fühlen!“

„Ich kann das nicht!“

„Oh doch, du kannst und du wirst, weil du musst! Du wirst dich täglich entscheiden müssen, ob du lebst oder stirbst. Jeden verdammten Tag wirst du das und du wirst dich immer fürs Leben entscheiden! Weil du im Inneren weißt, dass das hier nicht das Schlimmste sein wird, was dir widerfahren wird. Oh nein, du wirst die Hölle noch kennenlernen und du wirst sie mehrmals durchlaufen – aber auch den Himmel. Du wirst Glück in seiner schönsten Form kennenlernen und du wirst einsam sein, wie nie zu vor. Du wirst Freiheit spüren, wo andere nur Gefangenschaft sehen. Du wirst lieben, mehr als du es dir jetzt vorstellen kannst. Und du wirst geliebt … mehr als du es dir auch nur im Ansatz vorstellen kannst! Für dich wird es nicht EINE Liebe geben, sondern Hunderte.“

„Wann?“ … ich wünschte, ich könnte ihr den genauen Tag nennen, aber das wäre falsch. Sie lächelt, denn die Antwort kennt sie.

„Muss ich weitermachen?“ – „Ja, um unser beiden Glück wegen, musst du das!“ – „Wie soll ich das alles schaffen?!“ – ich seufze leise „Das tust du doch schon die ganze Zeit!“

Sie blickt wieder auf den Schreibtisch – kein Zettel. Es hat sich eine kleine Tränenpfütze gebildet. Sie hebt den Kopf wieder, atmet tief durch. Sie fährt zum zerknüllten Zettel hin, hebt ihn auf und öffnet ihn. Dabei lächelt sie. „Ich habe aber Angst davor!“ – „Ich weiß!" Und die Wahrheit ist, die Angst wird uns immer begleiten, jeden Tag – immer. Es wird Tage geben, an dem sie ganz klein ist. Beinahe nicht sichtbar und es wird Tage geben, an denen sie uns nicht aus dem Bett lässt.

„Ich kann dir nichts Weises sagen oder dir einen Ratschlag geben. Deshalb bin ich nicht hier – glaub ich!“ – „Warum bist du hier?“ – Ich zeige ihr den Schnipsel mit den Worten „… die mich trägt …“, die kommt näher und liest die Zeilen laut vor. Dann lächelt sie. Sie öffnet den zerknüllten Zettel, hält ihn hoch … darauf waren die Zeilen zu lesen:

„Die Liebe, die mich trägt, wird mich retten!“

Der Raum verblasst und ich sehe nur noch mein 18-jähriges ich – lächelnd.

Der Klingelton meines Handys reißt mich aus dem Schlaf. Bin ich über meinem Esstisch eingeschlafen. Der Schnipsel vor mir liegend. Ich nehme ihn in die Hand und sehe, dass etwas durchscheint. Ich drehe ihn um und finde die Worte „Falls du mich brauchst!“
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