Eure Lieblingsgedichte/Texte

Ach! wie glückselig ist ein Herze,
das nichts mehr als sich selbsten kennt,
von keiner fremden Flamme brennt,
selbst seine Lust und selbst sein Schmerze,
seit dass ich nun verliebet bin,
so ist mein ganzes Herze hin.

Ich schlaf, ich träume bei dem Wachen,
Ich ruh', und hab keine Ruh,
ich tu, und weiß nicht was ich tu,
ich weine mitten in dem Lachen,
Ich denk, ich mache dies und das,
ich schweig, und red', und weiß nicht, was.

Die Sonne scheint vor mir nicht helle,
mich kühlt die Glut, mich brennt das Eis,
Ich weiß, und weiß nicht was ich weiß,
die Nacht tritt an des Tages Stelle,
Jetzt bin ich dort, jetzt da, jetzt hier,
ich folg', und fliehe selbst für mir.

Bald billig' ich mir meinen Handel,
bald darauf verklag ich mich bei mir,
ich bin verändert für und für,
und standhaft nur in steten Wandel,
Ich selbst, bin mit mir selbst nicht eins,
bald will ich alles, bald gar keins.

Wie wird mirs doch noch endlich gehen?
ich wohne nunmehr nicht in mir,
mein Schein ist es nur, den Ihr hier,
in meinem Bilde sehet stehen,
Ich bin nun nicht mehr selber Ich,
Ach Liebe! Wozu bringst du mich?


Adam Krieger (1634-1666)​
 
Fragen

Schreib mir, was du anhast! Ist es warm?
Schreib mir, wie du liegst! Liegst du auch weich?
Schreib mir, wie du aussiehst! Ist's noch gleich?
Schreib mir, was dir fehlt! Ist es mein Arm?

Schreib mir, wie's dir geht! Verschont man dich?
Schreib mir, was sie treiben! Reicht dein Mut?
Schreib mir, was du tust! Ist es auch gut?
Schreib mir, woran denkst du? Bin es ich?

Freilich hab ich dir nur meine Fragen!
Und die Antwort hör ich, wie sie fällt!
Wenn du müd bist, kann ich dir nichts tragen.

Hungerst du, hab ich dir nichts zum Essen.
Und so bin ich grad wie aus der Welt
Nicht mehr da, als hätt ich dich vergessen.

Bert Brecht


...und ein toller thread übrigens :daumen:
 
Harte fremde Hände

Harte fremde Hände
sollen über mich fahren
wie Pflüge
und deine Wurzeln zerreißen.
Ich will meinen Körper einreiben
mit fremdem Schweiß
wie mit einer beizenden Salbe
daß alle Poren vergessen
wie du riechst.
Haare ohne Namen
sollen auf meiner Haut liegen
wie Tannennadeln auf dem Waldboden,
andere Lippen die Augen küssen
die für dich weinen.

Und meine Seele, die dich sucht
so natürlich
wie abends ein Vogel über das Meer fliegt,
verliert die Richtung
und kommt
nie wieder an Land.

Hilde Domin
 
Zuletzt bearbeitet:
Harte fremde Hände

Harte fremde Hände
sollen über mich fahren
wie Pflüge
und deine Wurzeln zerreißen.
Ich will meinen Körper einreiben
mit fremdem Schweiß
wie mit einer beizenden Salbe
daß alle Poren vergessen
wie du riechst.
Haare ohne Namen
sollen auf meiner Haut liegen
wie Tannennadeln auf dem Waldboden,
andere Lippen die Augen küssen
die für dich weinen.

Und meine Seele, die dich sucht
so natürlich
wie abends ein Vogel über das Meer fliegt,
verliert die Richtung
und kommt
nie wieder an Land.

Hilde Domin

:bussal:

danke für diese wunderschönen zeilen!

:bussal:
 
Mitten in der Nacht ist man unter Tränen aufgewacht.
Ein Traum, so klar wie jede Berührung,
wie der Wind, wenn er weht.
Ein Traum, der zuckersüß erscheint
und einem warm ums Herz wird, glücklich.
Man denkt, für alle Ewigkeit…doch dann…
erwacht man…in einer dunklen traurigen Stille…
der Traum ist geplatzt.
Einem wird alles bewusst, jede Einzelheit,
man wünscht sich alles zurück, bittet unter Schmerzen,
weint, schreit, bittet hilflos, hoffnungslos.
Man verflucht die Welt, alles,
man will nur noch zurück in die unreale, doch glückliche Welt.
Es ist so einsam und still. Leer.
Man fühlt sich schwach, verletztlich, fast schon tot.
Eine einzige Hoffnung steht im Herzen.
Schlafen.
Träumen.
Nie wieder aufwachen…
doch irgendwann, bei Morgengrauen,
erwacht man mit seelischem Leid und Schmerz,
muss unter Qualen gestehen…
Es war nur ein Traum.​

aus Dine´s life
 
Wirrwarr

Sich selber betrügen
sich einreden
diese Wirrwarrwelt
sei in Ordnung

Ich höre
hungernde Kinder
weinen

Ich sehe Soldaten
fallen

Ich fühle
das Herz der Erde
sich krümmen

Rose Ausländer
 
Heute etwas witziges, das eigentlich ziemlich peinlich war:


Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)


Der Müllerin Verrat
Nachdichtung einer französischen Romanze

Woher der Freund so früh und schnelle,
Da kaum der Tag im Osten graut?
Hat er sich in der Waldkapelle,
So kalt und frisch es ist, erbaut?
Es starret ihm der Bach entgegen;
Mag er mit Willen barfuß gehn?
Was flucht er seinen Morgensegen
Durch die beschneiten wilden Höhn?

Ach, wohl! Er kommt vom warmen Bette
Wo er sich andern Spaß versprach;
Und wenn er nicht den Mantel hätte,
Wie schrecklich wäre seine Schmach!
Es hat ihn jener Schalk betrogen
Und ihm den Bündel abgepackt;
Der arme Freund ist ausgezogen
Und fast, wie Adam, bloß und nackt.

Warum auch schlich er diese Wege
Nach einem solchen Äpfelpaar,
Das freilich schön im Mühlgehege,
So wie im Paradiese, war.
Er wird den Scherz nicht leicht erneuen;
Er drückte schnell sich aus dem Haus
Und bricht auf einmal nun, im Freien,
In bittre laute Klagen aus:

»Ich las in ihren Feuerblicken
Nicht eine Silbe von Verrat;
Sie schien mit mir sich zu entzücken
Und sann auf solche schwarze Tat!
Konnt ich in ihren Armen träumen,
Wie meuchlerisch der Busen schlug?
Sie hieß den holden Amor säumen,
Und günstig war es uns genug.

»Sich meiner Liebe zu erfreuen!
Der Nacht, die nie ein Ende nahm!
Und erst die Mutter anzuschreien,
Nun eben als der Morgen kam!
Da drang ein Dutzend Anverwandten
Herein, ein wahrer Menschenstrom;
Da kamen Vettern, guckten Tanten,
Es kam ein Bruder und ein Ohm.

»Das war ein Toben, war ein Wüten!
Ein jeder schien ein andres Tier.
Sie forderten des Mädchens Blüten
Mit schrecklichem Geschrei von mir.-
Was dringt ihr alle wie von Sinnen
Auf den unschuldgen Jüngling ein?
Denn solche Schätze zu gewinnen,
Da muß man viel behender sein.

»Weiß Amor seinem schönen Spiele
Doch immer zeitig nachzugehn.
Er läßt fürwahr nicht in der Mühle
Die Blumen sechzehn Jahre stehn.-
Sie raubten nun das Kleiderbündel,
Und wollten auch den Mantel noch.
Wie nur so viel verflucht Gesindel
Im engen Hause sich verkroch!

»Nun sprang ich auf und tobt und fluchte,
Gewiß, durch alle durchzugehn.
Ich sah noch einmal die Verruchte,
Und ach! sie war noch immer schön.
Sie alle wichen meinem Grimme;
Es flog noch manches wilde Wort;
Da macht ich mich, mit Donnerstimme,
Noch endlich aus der Höhle fort.

»Man soll euch Mädchen auf dem Lande
Wie Mädchen aus den Städten fliehn.
So lasset doch den Fraun von Stande
Die Lust, die Diener auszuziehn!
Doch seid ihr auch von den Geübten
Und kennt ihr keine zarte Pflicht,
So ändert immer die Geliebten,
Doch sie verraten müßt ihr nicht.«

So singt er in der Winterstunde,
Wo nicht ein armes Hälmchen grünt.
Ich lache seiner tiefen Wunde;
Denn wirklich ist sie wohlverdient.
So geh es jedem, der am Tage
Sein edles Liebchen frisch betriegt
Und nachts, mit allzu kühner Wage,
Zu Amors falscher Mühle kriecht.



Aus: Johann Wolfgang von Goethe
Goethes Gedichte in zeitlicher Folge. Insel Verlag.
Herausgegeben von Heinz Nicolai. 7.Auflage 1990 (S. 500-502)
 
lese eigentlich selten Gedichte, aber der Thread hat mich wiedermal daran erinnert :)

gleichmal eins meiner Lieblingsgedicht von Rilke


Abend

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt;

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt -

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft und reifend,
so dass es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.
 
Und jede Pore, die einst für dich brannte,
Jeder Gedanke, der dich kosend nannte,
Muss sich in meinem Blute hassend wenden
Und statt der Süße — Galle nach dir senden.
Doch das ist nicht das Ende.
Das Ende ist, wenn meinen Händen,
Meinen Lippen, meinen Augen
Das schwere, lange Bluten endet,
Und sie nach langem fremdem Schweigen
Sich endlich wieder zu dir neigen
Und sagen können: "Freund".
Dann ist das Ende meiner großen Liebe.

Max Dauthendey​
 
"Corona"; Paul Celan

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.
 
Man wird bescheiden:

Ein Mensch erhofft sich fromm und still,
Daß er einst das kriegt, was er will.
Bis er dann doch dem Wahn erliegt
Und schließlich das will, was er kriegt.

(Eugen Roth)

ich find den so gut ...kurz, knapp, treffend
 
Voreilig:

Ein Mensch in seinem ersten Zorn
Wirft leicht die Flinte in das Korn
Und wenn ihm dann der Zorn verfliegt,
Die Flinte wo im Korne liegt.
Der Mensch bedarf dann mancher Finte,
Zu kriegen eine neue Flinte.

(Eugen Roth)

und noch eines das mir gut gefällt
 
Und jede Pore, die einst für dich brannte,
Jeder Gedanke, der dich kosend nannte,
Muss sich in meinem Blute hassend wenden
Und statt der Süße — Galle nach dir senden.
Doch das ist nicht das Ende.
Das Ende ist, wenn meinen Händen,
Meinen Lippen, meinen Augen
Das schwere, lange Bluten endet,
Und sie nach langem fremdem Schweigen
Sich endlich wieder zu dir neigen
Und sagen können: "Freund".
Dann ist das Ende meiner großen Liebe.

Max Dauthendey​

Traurig irgendwie :cry:

"Corona"; Paul Celan

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Sehr, sehr schön :)
 
Kann zwar nicht mit allen Trakl Gedichten was anfangen, aber ein paar finde ich doch sehr schön :)


Traumwandler

Wo bist du, die mir zur Seite ging,
Wo bist du, Himmelsangesicht?
Ein rauher Wind höhnt mir ins Ohr: du Narr!
Ein Traum! Ein Traum! Du Tor!
Und doch, und doch! Wie war es einst,
Bevor ich in Nacht und Verlassenheit schritt?
Weißt du es noch, du Narr, du Tor!
Meiner Seele Echo, der rauhe Wind:
O Narr! O Tor!
Stand sie mit bittenden Händen nicht,
Ein trauriges Lächeln um den Mund,
Und rief in Nacht und Verlassenheit!
Was rief sie nur! Weißt du es nicht?
Wie Liebe klang's. Kein Echo trug
Zu ihr zurück, zu ihr dies Wort.
War's Liebe? Weh, daß ich's vergaß!
Nur Nacht um mich und Verlassenheit,
Und meiner Seele Echo - der Wind!
Der höhnt und höhnt: O Narr! O Tor!


An einem Fenster

Über den Dächern das Himmelsblau,
Und Wolken, die vorüberziehn,
Vorm Fenster ein Baum im Frühlingstau,

Und ein Vogel, der trunken himmelan schnellt,
Von Blüten ein verlorener Duft -
Es fühlt ein Herz: Das ist die Welt!

Die Stille wächst und der Mittag glüht!
Mein Gott, wie ist die Welt so reich!
Ich träume und träum' und das Leben flieht,

Das Leben da draußen - irgendwo
Mir fern durch ein Meer von Einsamkeit!
Es fühlt's ein Herz und wird nicht froh!


Naturtheater

Nun tret' ich durch die schlanke Pforte!
Verworrner Schritt in den Alleen
Verweht und leiser Hauch der Worte
Von Menschen, die vorübergehn.

Ich steh' vor einer grünen Bühne!
Fang an, fang wieder an, du Spiel
Verlorner Tage, ohn' Schuld und Sühne,
Gespensterhaft nur, fremd und kühl!

Zur Melodie der frühen Tage
Seh' ich da oben mich wiedergehn,
Ein Kind, des leise, vergessene Klage
Ich weinen seh', fremd meinem Verstehn.

Du staunend Antlitz zum Abend gewendet,
War ich dies einst, das nun weinen mich macht,
Wie deine Gebärden noch ungeendet,
Die stumm und schaudernd deuten zur Nacht.
 
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Begehren

Begehren aus Träumen geboren,
die Sehnsucht stillen,
dem Verlangen ergeben,
sich im Augenblick verlieren.

Nachgeben der Verführung,
die Haut des anderen spüren,
Körper sich so sanft berühren,
ergeben voll der Lust.

Im Rythmus sich bewegen.
den Atem keuchend fühlend.
Ströme durchlaufen heiß,
bis zur vollendeten Extase.


( creature78 )
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Blutrote Tränen

Blutrote Tränen Dunkel ist die Nacht und einsam, ganz verloren sitz ich hier.
Tränen fließen unaufhaltsam, zu viel Schmerz fühl ich in mir.
Feuer brennt in meiner Seele, Angst und Leid zerfressen mich.
Mit jedem neuen Atemzug dringt in mein Herz ein kalter Stich.
Gefühle, die ich kaum ertrage, ein Schrei in mir, der viel zu laut.
Erinnerungen, die mich quälen, ein tiefer Schnitt auf meiner Haut.
Verlangen, das ich plötzlich spür, es brennt in mir wie heiße Glut.
Des Messers Klinge, kalt und scharf, ein leiser Schmerz, ein Meer aus Blut.
Wie erstarrt lieg ich am Boden, Tränen fließen aus der Wunde.
Leid und Qual in meinem Herzen steigern sich mit jeder Stunde.
Stumme Schreie aus der Seele, dunkle Schatten an den Wänden.
Tote Augen, leere Blicke, heißes Blut an meinen Händen.
Rosen, die vom Himmel fallen, Dornen, die ich spür im Herz.
Mein Körper leidet Höllenqualen, die Seele ist erfüllt von Schmerz.
Wie ein Vogel ohne Flügel, einsam und das Herz in Ketten, fühl ich tief in meiner Seele, nichts und niemand kann mich retten.


( creature78 )
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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