Eure Lieblingsgedichte/Texte

Kein Lieblingsgedicht, aber eines, das mir sehr gut gefällt.



Ruhe

Ruhig, Herz, was soll dies Streben,
Warum zagst und fürchtest du?
Einen Blick wirf auf das Leben,
Einen wirf dem Grabe zu.
Bunt und wirr und mannichfaltig
Ringen Kräfte, vielgestaltig,
Kommen endlich all zur Ruh.

Lies im Buch der Weltgeschichte,
Ewig gleich bleibt sich die Zeit.
Thaten klingen wie Gedichte
Aus der Vorwelt Dunkelheit;
Was wir staunend jetzt betrachten,
Ein Jahrtausend wird's umnachten.
Was ist hier Unsterblichkeit? —

Ruhig, wenn die Hand der Trauer
An der Luft Geweben reißt,
Ruhig, wenn des Todes Schauer
Warme Herzen übereist.
Ob der Blitzstrahl Eichen spaltet,
Ueber Donnerwolken waltet
Liebevoll ein guter Geist!

Mancher lodert auf in Gluthen,
Gleichend einem Wälderbrand,
Oder sturmempörten Fluthen,
Donnernd an die Felsenwand —
Während ruhig und besonnen
Mancher oft ein Glück gewonnen,
Das der Stürmer nimmer fand.

Ruhig, ob der Sturm die Masse
Wie des Herbstes Laub errafft,
Nach dem Rettungssteuer fasse
Mit des Geistes hoher Kraft!
Blinde Wuth kann nie gewinnen,
Wenn besonnenes Beginnen
Riesenmonumente schafft.

Ruhig wandeln ihre Bahnen
Dort die Welten, Stern an Stern,
Ruhig über Ozeanen
Schwebt und herrscht der Geist des Herrn.
Ob des Erdballs Rinde zittert,
Wenn ein Feuerberg gewittert,
Unerschüttert, bleibt der Kern.

Und ob auch ein Stern verschwände,
Daß kein Auge seine Spur
Hoch am Himmel wieder fände,
Ruhig geht die Weltenuhr.
Heil'ge Zwecke zu vollbringen,
Fliegen dort auf Strahlenschwingen
Sonnen durch die Himmelsflur.

Warum sorgen, warum bangen,
Wenn des Lebens Wetter dröhn?
Hinter Wolken aufgegangen
Ist die Freudensonne schon.
Ruhig, Herz, du wirst sie schauen!
Ruhig! — Hoffnung und Vertrauen
Lassen keinen ohne Lohn.

Wer von Zweifeln fortgerissen
Sich in Glaubenswüsten fühlt,
Wem ein nagendes Gewissen
Martervoll im Busen wühlt,
Ach, dem ist kein Glück beschieden,
Bis des Grabes stiller Frieden
Den Verlassnen deckt und kühlt.

Unsern Wünschen, unermessen,
Setzt der Tod ein Ziel im Nu!
Herzen, die wir froh besessen,
Deckt ein Hügel Erde zu.
Um die müden Schläfer wehen,
Bis die Toden auferstehen,
Himmelslüfte — Himmelsruh! —

Ludwig Bechstein
 


Sonett

Und als die siebente Stunde Frühe schlug
Erwachten wir sehr blaß in ihrem Bette.
Ich fragte, ob ich sie genügend hätte.
Sie sagte: nein. Und wie ich sah, mit Fug -

Genug, sprach sie, ists nie. Selbst sieben Male
(Ich will nicht lügen, fünf, doch gut für sie)
Sind nichts, wenn sie vorbei sind, d.h. fast nie
Mehr als Erinnerung, und was soll die: male

Den Mund mir mit den Lippen rot, und laß
Die Sonn (sie sagte: Tags Stern) mir am Bauch
Allein nicht, sie könnt friern, ich denke, Rauch
Geraucht, wird kalt, wir sind nicht Rauch: nur daß

Du mich jetzt faßt, beweists, komm laß uns wippen.
Da fing mirs an. Sie hat geschickte Lippen.



(Rainer Kirsch)













 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Das Nein
Das ich endlich sagen will
Ist hundertmal gedacht
Still formuliert
Nie ausgesprochen.

Es brennt mir im Magen
Nimmt mir den Atem
Wird zwischen meinen Zähnen zermalmt
Und verlässt
Als freundliches Ja
Meinen Mund.

(Peter Turrini)
 
[h=2]Herberts blaue Augen[/h]

Ich wäre ein Verbrecher, ein Schurke ganz infam,
Doch hab ich einen Spezi, der rettet mich vor Gram,
Der Spezi, der heißt Herbert und ist ein braver Mann,
Er hat zwei blaue Augen und schaut mich immer an,
Er hat zwei blaue Augen und schaut mich immer an.


Der Herbert wollte gehen auf Einbruch zu Herrn Kraus,
Ich hielts für zu gefährlich und sprach: "Ich bleib zu Haus!
Denn wenn man uns verhaftet, wo bleibt dann der Profit?"
Doch Herberts blaue Augen, die sagten mir: "Komm mit!",
Ja, Herberts blaue Augen, die sagten mir: "Komm mit!".

Darauf ging ich mit Herbert auf diesen Einbruch aus,
Herr Kraus kam uns entgegen, denn er war grad zu Haus,
Ich zog meine Pistole, denn ich war sehr erpicht,
Doch Herberts blaue Augen, die sagten mir: "Schieß nicht!",
Ja, Herberts blaue Augen, die sagten mir: "Schieß nicht!".

Dann schoß der Herbert selber, sein Schuß ging nicht vorbei,
Doch da er ziemlich laut war, erschien die Polizei,
Sie fragten mich: "Warst du es?", ich wollte sagen: "Nee!",
Doch Herberts blaue Augen, die sagten mir: "Gesteh!",
Ja, Herberts blaue Augen, die sagten mir: "Gesteh!".

Ich ward zum Tod verurteilt im Wonnemonat Mai,
Enthauptet sollt ich werden, den Herbert sprach man frei,
Ich lag schon auf dem Richtblock, die Menge schrie nach Blut.
Doch Herberts blaue Augen, die sagten mir: "Faß Mut!
Es wird noch alles gut, mein Jung, es wird noch alles gut!"
Der Henker sah auf Herbert, doch Herbert war erschöpft,
Und schloß erschöpft die Augen, daher ward ich geköpft,
Und darum, meine Tochter, halt ich dich heut beim Schopf,
Vertrau den blauen Augen nicht, sonst kostet es den Kopf!
Vertrau den blauen Augen nicht, sonst kostet es den Kopf!

(Georg Kreisler)

Keine Berechtigung Bilder zu betrachten - Bild entfernt.
 
@ Salome

Ich habe diesen Thread jetzt erst entdeckt - Großartige Idee von dir, liebe Salome!! Ist nämlich witzig, ich dachte die längste Zeit bereits, dass ein Thread dieser Art fehlt. Vielen Dank, Salome, auch wenn er schon einige Jahre existiert! :)
 
Trauer

Lichter spiegeln sich in schmutzig-nassen Pfützen,
gelb und fettig, schmutzig auch und schwer.
Helle Häuserfenster können gar nichts nützen.
Tore hallen hehr und leer.

Liegt der Nebel müde auf den Straßen
und der Regen rinnt und rinnt.
Menschen sind zu traurig, um sich noch zu hassen,
und es hüstelt irgendwo ein Kind.

In den Gärten liegen halbverfaulte Blätter,
stehen Bänke, traurig, naß und grau,
kommt die Sonne immer seltener und später,
nimmt's der Mond mit Scheinen nicht genau.

Dringt das halbe Tageslicht noch durch den Nebel,
trüb und grau und klebrig schwer.
Klirrt die Wache schläfrig mit dem Säbel
und ein nasser Vogel zittert sehr.

Stehen dürre, hungerige Pferde
dampfend da, mit müden Augen.
Ganz durchweicht, verstreut auf nasser Erde,
kann der Hafer nicht mehr taugen.

An der moderigen Mauer
eine nasse Katze schleicht.
Mit hervorgekehrtem Pelz ein Bauer
schaut, ob ihm das Geld noch reicht.

Selma Meerbaum-Eisinger aus Czernowitz, die als Jüdin 18 jährig in einem Arbeitslager an Fleckfieber verstarb.
 
Heute

sind meiner Trauer
Flügel gewachsen
sie springt mich
nicht mehr an
aus dem Versteck
sie beißt sich
nicht mehr fest
in meinen Gedanken
sie verdunkelt nicht
länger meinen Tag
Heute
sind meiner Trauer
Flügel gewachsen
aufzuheben den Schmerz


(c) Annemarie Schnitt
 
Abend im Frühherbst von Maria Luise Weissmann

Weit ausgegossen liegt das breite Land.
Der Himmel taucht den Scheitel noch ins Licht,
Doch seitlich hebt gelassen eine Hand
Die dunkle Maske Nacht ihm ins Gesicht.

Viel fette Lämmer weiden auf der Flur,
In Gärten steht das Kraut in seiner Fülle,
Herbstwälder ziehn als eine goldne Spur,
Am Baum die Frucht glänzt prall in ihrer Hülle.

Es ist der letzte dieser kurzen Tage:
All Ding steht reif und rund und unbewegt
Schwebend in sich gebannt wie eine Waage,
Die Tod und Leben gleichgewichtig trägt.
 
Am Ende des Liebens


Am Ende des Liebens ist mein großer Beginn:
Ich erstürme den Mount Everest,
Pflücke alle Dotterblumen.
Begehe den ersten Schultag.
Rette das Land vor einer Naturkatastrophe.
Falle in Mathematik nicht durch.
Und spreche zu den Vereinten Nationen.

Das alles ereignet sich beim Ausruhen
in deiner Achsel.

P. Turrini
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Vielleicht so

Dich finden,
ohne mich zu verlieren.

Mich Dir geben,
ohne mich aufzugeben.

Dich verstehen,
ohne mich zu übersehen.

So könnte es gehen.

Hans Kruppa
 
Dir meiner Lieb möcht ich es nennen,
wie´s heißt was mit mir ist.
In meinem kurzem tristen Leben,
ist nichts so schön wie du es bist.

Des Tages lauf ich durch die Gassen,
verträumt schau ich zum Himmel hoch.
Nicht ein Moment fühl mich verlassen,
den lieblich Stern mein Herz hat doch.

Dein´ Namen wenn ich höre,
und sei es nur für den Moment.
Mein Herz singt laut wie tausend Chöre,
weil´s nun den Nam´ nes Engels kennt.

Glückseeligkeit hält mich gefangen,
die Liebe selbst zieht mich in Bann.
Tausend Seel´n würden nicht langen,
ob jung ob alt ob Frau ob Mann.

Dein bin ich nun für ewge Zeit,
und will es bleiben immer dar.
Würd jeden Berg für dich besteigen,
Die Lieb seh ich ganz rein und klar.
 
Eines Tages entschlossen sich der Wahnsinn, die Neugier, die Freude, die Sicherheit, die Lust, die Skepsis und die Liebe verstecken zu spielen. Jeder von ihnen suchte sich ein geeignetes Versteck und der Wahnsinn war bereit sie alle zu suchen.

Die erste, die gefunden wurde war die Neugier, denn sie wollte wissen, wer als erster geschnappt wird und lehnte sich zu weit heraus aus ihrem Versteck. Auch die Freude wurde schnell gefunden denn man konnte ihr Kichern nicht überhören. Mit der Zeit fand der Wahnsinn all seine Freunde und selbst die Sicherheit war wieder da. Doch dann fragte die Skepsis: "Wo ist denn die Liebe?" Alle zuckten mit der Schulter, denn keiner hatte sie gesehen. Also gingen sie suchen. Sie schauten unter Steinen, hinterm Regenbogen und auf Bäumen. Der Wahnsinn suchte in einem dornigen Gebüsch mit Hilfe eines Stöckchens. Und plötzlich gab es einen Schrei! Es war die Liebe. Der Wahnsinn hatte ihr aus versehen das Auge rausgepieckst. Er bat um Vergebung, flehte um Verzeihung und bot der Liebe an sie für immer zu begleiten und ihre Sehkraft zu werden. Die Liebe akzeptierte diese Entschuldigung natürlich.

Seitdem ist die Liebe blind und wird ständig vom Wahnsinn begleitet !!!
 
Ebene Landschaft von Maria Luise Weissmann

Die Erde kam, ein grauer Strom, geflossen.
Kein Damm, der ihre Flut zusammenhält,
Sie hat sich über Berg und Tal und Haus ergossen.
Fern, wo ein schmaler Strich den Horizont erhellt,
Ein Baum. Entwurzelt. Der ins Leere fällt.
 
Sie saßen und tranken am Teetisch
und sprachen von Liebe viel.
Die Herren, die waren ästhetisch,
die Damen von zartem Gefühl.
Die Liebe muß sein platonisch,
der dürre Hofrat sprach.
Die Hofrätin lächelt ironisch.
Und dennoch seufzet sie: Ach!
Der Domherr öffnet den Mund weit:
Die Liebe sei nicht zu roh,
sie schadet sonst der Gesundheit.
Das Fräulein lispelt: Wieso?
Die Gräfin spricht wehmütig:
Die Liebe ist eine Passion!
Und präsentieret gütig
die Tasse dem Herren Baron.
Am Tische war noch ein Plätzchen;
mein Liebchen, da hast du gefehlt
Du hättest so hübsch, mein Schätzchen,
von deiner Liebe erzählt.

Heinrich Heine, 1797-1856
 
Christian Morgenstern

Begegnung


Wir saßen an zwei Tischen - wo? -
im All ...
Was Schenke, Stadt, Land, Stern - was tut´ s dazu!
Wir saßen irgendwo im Reich des Lebens ...
Wir saßen an zwei Tischen, hier
und dort.

Und meine Seele brannte: Fremdes Mädchen,
wenn ich in deine
Augen dichten dürfte -
wenn dieser königliche Mund mich lohnte -
und diese königliche Hand mich krönte -



Und deine Seele brannte: Fremder Jüngling,
wer bist du, dass du mich so tief erregtest -
dass ich die Knie dir umfassen möchte -
und sagen nichts als: Liebster, Liebster, Liebster -!

Und unsre Seelen schlugen fast zusammen.
Doch jeder blieb an
seinem starren Tisch -
und stand zuletzt mit denen um ihn auf -
und ging hinaus - und sahn uns nimmermehr.
 
Zurück
Oben