, das kommt auch im Film ganz eindeutig rüber.
Das war noch eine der "netteren" Kritiken:
Dokumentarfilm "Im Keller": Zu Besuch bei lieben Perversen
Von Wolfgang Höbel
Geweihsammler, Waffennarren und SM-Freunde: Ulrich Seidl zeigt in seinem Dokumentarfilm "Im Keller", was österreichische Bürger im Tiefgeschoss ihrer Häuser so treiben - und zählt darauf, dass wir uns vor dem Andersartigen ekeln.
Der Filmemacher Ulrich Seidl betreibt seit vielen Jahren mit einigem Erfolg das Handwerk eines Fremdenführers in Horrorwelten. In seinem neuen Werk "Im Keller" macht er uns mit einem freundlichen weißen Meerschweinchen bekannt. Man sieht dem putzigen Tier eine gefühlte halbe Minute lang dabei zu, wie es neugierig eine drei Meter lange gelbe Riesenschlange beschnuppert - und schwupps wird das Meerschweinchen von der Schlange verspeist.
Ein andermal zeigt Seidl einen dicken nackten Herrn mittleren Alters mit kahlem Kopf und Hundehalsband um die Gurgel, während er eine Treppe hinabsteigt. Im Verlies am Treppenende lässt er sich von seiner gleichfalls beleibten, dominanten Gefährtin sexuell demütigen.
Weit bizarrer sind die fünf gut gelaunten männlichen Volksmusiker und Hobby-Nazis in einem anderen Kellerraum: An einem Brotzeittisch, der mit Hitlerbild und NS-Uniform dekoriert ist, singen sie der Gemütlichkeit ein Prosit.
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5 Bilder"Im Keller" von Ulrich Seidl: Peitschenknaller im Menschenzoo
Man merkt: In dem Film "Im Keller" geht es auf den ersten Blick hochinteressant zu. In österreichischen und deutschen Kellern, das wissen wir aus den Kriminalfällen Fritzl, Kampusch und Reemtsma, wohnt das Verbrechen. Beim Regisseur Seidl hausen dort nur kuriose Kleinbürger. Zur Erheiterung und zum gehässig-wohligen Erschauern des Kinozuschauers führen sie bereitwillig Szenen aus ihrem Alltagsleben vor. Freaks und psychisch Versehrte, zutrauliche Perverse oder auch nur lustig Verdrehte sind sie alle, die Hirschhornsammler, Waffennarren und Sadomaso-Freunde in Seidls Panoptikum.
Fernsehzuschauer kennen Menschen wie sie: aus den Sendungen von RTL II, wo ziemlich ähnliche Obsessive zumeist in scheußlichen Digitalschrubbelbildern zu besichtigen sind. In "Im Keller" sieht man sie prachtvoll inszeniert in den perfekt kadrierten Aufnahmen des völlig zu Recht hochgepriesenen Kameramanns Martin Gschlacht. Es ist kein schummriges Abnormitätenkabinett, das hier zu bestaunen ist, sondern eine perfekt ausgeleuchtete Abnormitäten-Kunstgalerie.
Dressurakte eines Kino-Dompteurs
Das Kinogewerbe, so lehren die Geschichtsbücher, wurde geboren aus dem Geist der Jahrmarktsattraktion. Auf Jahrmärkten zeigte man im 19. Jahrhundert die ersten Filmbilder; und ebenfalls auf Jahrmärkten zeigte man im 18. und 19. Jahrhundert berühmt-berüchtigte "Freakshows". Es waren zirzensische Vorführungen zur allgemeinen Volksbelustigung, in denen körperlich Missgebildete als "Wolfsmenschen", "Affenmenschen" oder "Löwenmenschen" neben Riesen, Albinos und Kleinwüchsigen präsentiert wurden. Der Horrorfilmer Seidl, inzwischen auch schon 62 Jahre alt, knüpft an diese Tradition an.
In früheren, preisgekrönten Dokumentarwerken hat Seidl das Elend von Zeitungsverkäufern (in "Good News") und Möchtegern-Mannequins (in "Models") als Gruselnummern vorgeführt. In gleichfalls oft mit Preisen dekorierten Spielfilmen hat er Kleine-Leute-Geschichten von Gewalt, Gemeinheit und trostloser Revolte gegen die Sinnlosigkeit des Daseins (in "Hundstage" und in seiner "Paradies"-Trilogie) erzählt.
In "Im Keller" ist Seidl nun auf einer Art Mittelweg zwischen Fiktion und Dokumentation unterwegs. Er hat seine Freaks sorgsam gecastet, befragt und instruiert. Seine Exkursionen in die Kellergewölbe, zu Waffennarren, Rechtsradikalen und einer alten Frau, die ihre Kellerpuppen wie echte Babys liebkost, wirken wie Dressurakte eines Kino-Dompteurs. Was sie ganz offensichtlich auch sind. In Interviews gibt sich der Regisseur Seidl gern als sensibler Seelenerkunder. In "Im Keller" aber tritt er dezidiert als ein Mann auf, der das tut, was man als Betreiber einer Jahrmarkt-Schaubude ebenso macht. Er schreit sensationsheischend herum.
Natürlich ist "Im Keller", der in Österreich vor allem wegen der Nazi-Szenen schon für einigen Skandallärm gesorgt hat, beklemmend und in manchen Momenten sogar ergreifend. Wie auch nicht? Er handelt von der Armseligkeit unserer Triebe, von Langeweile und Exhibitionismus, vor allem aber von himmelschreiender Einsamkeit. In kühler Präzision wird hier ausgestellt, wie eine sadistisch enthusiasmierte Frau ihren Lustgefährten an dessen Hoden aufhängt. Oder wie eine von anderen Vorlieben geprägte Frau ihr üppiges Fleisch in einen engen Metallkäfig zwängt. Man staunt und denkt sich mit dem deutschen Sexualitätserkunder Johann Wolfgang Goethe: "Wunderlichstes Buch der Bücher ist das Buch der Liebe."
Egal, ob man Seidl nun als Zyniker verachtet oder als Kurator des Grauens feiert - fest steht, dass sein Film genauso funktioniert wie die grotesken Jahrmarktsschauen einst. Sie beschreiben die Grenzen der sozialen, politischen und sexuellen Räume, innerhalb derer sich eine Gesellschaft ihrer Normalität versichert. Sie präsentieren das vermeintlich Monströse, Hässliche und psychotisch Andere mit dem Ziel, die Ängste und Unsicherheiten der Zuschauer hervorzukitzeln. Das kann man irgendwie total wichtig finden. Es ändert nichts daran, dass Seidl seine Kellermenschen in trüber Berechnung ausstellt: als das, was man auf der Kirmes einst anpries unter dem Titel "Lebende Kuriositäten".
Quelle:
http://www.spiegel.de/kultur/kino/i...seidl-bei-den-lieben-perversen-a-1006194.html