Angesichts der hier geschilderten Erlebnisse trau ich mich eigentlich gar nicht, meine zu erwähnen - haben sie doch nichts mit physischer Gewalt oder Mißbrauch zu tun. Bei mir waren es eher seelische Belastungen, die ich lange Zeit verdrängt habe und von denen ich glaube, daß sie mich bis in die jüngste Zeit verfolgt haben.
Ich bin das zweite und uneheliche Kind meines Vaters, meine Eltern waren nie verheiratet und meine Mutter war die klassische Alleinerzieherin. Daraufgekommen bin ich mit 6 Jahren, als ich am Heimweg von der Schule zufällig meinen Vater bei der Stadtbahnstation getroffen habe, ihn freudig begrüßt hab und nicht verstanden, warum er mich weder eines Blickes noch eines Wortes gewürdigt hat sondern einfach weitergegangen ist als würde er mich nicht kennen. Daheim hat mir meine Mutter dann erklärt, daß er verheiratet wäre, noch einen anderen Sohn hätte, bei der Familie lebt und diese nichts von mir wissen darf. (ab diesem Tag wußte sie es allerdings, mein Vater war mit seiner Frau unterwegs und was sollte er noch groß sagen wenn ihm ein fremdes Kind "Papa, Papa" rufend nachrennt
) Sie hat mir dann auch erzählt, ich hätte eine große Familie väterlicherseits, könne diese aber nicht kennenlernen, da mein sittenstrenger Großvater augenblicklich einen Herzanfall erleiden würde, wüßte er um die Schande die mein Vater über die Familie gebracht hat. Und mein Bruder dürfte erst recht nichts von mir erfahren, damit wenigstens ein Kind unter geordneten Verhältnissen aufwächst. - Ich habs damals akzeptiert und verdrängt, lediglich meine Großmutter wurde nicht müde, auch in meiner Gegenwart ständig über meinen Vater herzuziehen wegen der Schande die er meiner Mutter angetan hatte. Als ich sie einmal fragte, was an mir denn so schlecht sei, daß sie es jedesmal erwähnen mußte, hatte sie nur ihr übliches "das verstehst Du nicht" parat.
Meine Mutter war mit der ganzen Situation heillos überfordert, egal was ich tat, ich konnte es ihr nicht recht machen weil sie (wie ihre Mutter) eben auch meinen Vater in mir sah und ich ihren ganzen Frust abbekommen habe. Und den Vater, der uns am Abend besucht hat, hat sie in die Rolle des Machtwortsprechers gedrängt, und selbst wenn er mal zufrieden war, mußte er Mutters Frust transportieren. Ihr ist dann auch regelmäßig die Hand ausgerutscht, bis zu dem Zeitpunkt, als ich ihre Arme festhalten und mit Zurückhauen drohen konnte. Mit 14 bin ich dann für ein Jahr ausgezogen und mit 16 waren meine Freunde meine Familie.
Wie sich das aufs Heute auswirkt - schwer zu sagen, auf jeden Fall hatte ich enorme Probleme mit meinem Selbstwertgefühl, der Persönlichkeitsbildung und dem Selbstvertrauen. Daß ich mit 14 nicht völlig abgerutscht bin, verdanke ich meiner Großtante, die sich immer sehr um mich gekümmert und mich damals auch aufgenommen hat.
Und rückblickend betrachtet habe ich immer durch irgendwas gebremst gefühlt, vieles einfach deshalb nicht einmal versucht, weil ich dachte, mir gelingt das eh nicht und unbewußt immer wieder Situationen heraufbeschworen (in Beziehungen und Beruf), die mich ähnliche Gefühle wie damals wieder erleben ließen.
Ich kann nicht sagen, ich bin froh daß es ist wie es ist, weil ich sonst nicht ich wär - weil wer weis, wer oder was aus mir geworden wäre, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn es als Kind anders gelaufen wäre. Aber es ist wie es ist und ich versuche das beste draus zu machen.