Zum Begriff der Normalität

P

Gast

(Gelöschter Account)
Es gab zwar schon 2006 eine Debatte hier zum Thema, aber die will ich lieber ruhen lassen und aufgrund dieses heutigen ORF-Themas neu aufrollen: „NORMAL“ - Risiken eines Allerweltsbegriffs. Zwar ist dieser natürlich auf die aktuelle politische Debatte diesbezüglich gemünzt, aber die Experten treffen hier einige bemerkenswerte Aussagen, die weit darüber hinausgehen und auch genau unser zentrales Thema hier im EF berühren, wo die "Normalität" ja immer wieder diskutiert wird. Deswegen möchte ich ein paar Zitate aus diesem Beitrag herausgreifen:

Schnell entzündete sich eine Debatte über die Frage, wer bestimmt, was als „normal“ zu gelten hat. Der Allerweltsbegriff birgt nämlich auch viele Risiken.

„Normal“ und „Normalität“ gelten als unverdächtige Begriffe, sagt die deutsche Politikwissenschaftlerin Astrid Seville im ORF.at-Gespräch. ... „Wer bestimmt denn, was normal ist? Was ist für wen normal?“, fragt Seville, die an der Technischen Universität München Politische Theorie und Philosophie lehrt. Die Frage, was denn normal ist, hängt in erster Linie von der Person ab, die diese Frage beantwortet.... Jede Person habe eine gewisse Vorstellung davon, was in einer Gesellschaft normal sein soll. ... Gleichzeitig werde damit implizit bestimmt, was eben nicht unter Normalität zu fallen hat. ... Das habe Auswirkungen auf die Art und Weise des Zusammenlebens. ... „Wer anders denkt, ist abnormal, wer dagegen ist, ist nicht ganz bei Sinnen, wer anderes ist, gehört nicht dazu.“ ... „Wenn Sie Erfahrungen mit Ausgrenzung haben und Sie hören ständig, dass nur ein bestimmtes Verhalten normal sei, wie fühlen Sie sich dann?“, fragt Seville. ... Es sei nicht alles schwarz-weiß, bei Vorstellungen von „Normalität“ bestehe etwa eine Gleichzeitigkeit von Inklusion und Ausgrenzung.

In eine ähnliche Richtung argumentiert Martin Reisigl. Es gebe nicht „die“ Normalität, sagt der Linguist von der Universität Wien im ORF.at-Gespräch. Zu bestimmten Zeitpunkten gebe es nämlich „verschiedene Normalitäten“ für unterschiedliche Menschengruppen. Nicht selten sei aber eine bestimmte Normalität vorherrschend, die sich „später auch als Fehler erweisen kann. Normalitäten ändern sich also im Laufe der Zeit“, sagt Reisigl und erinnert etwa an die „gesunde Watsche“, die von vielen Menschen lange Zeit als „normal“ angesehen wurde. ... Wer die Normalitätsdefinition für sich in Anspruch nimmt und dabei ignoriert, dass verschiedene Normalitäten existieren, die nicht unveränderbar sind, impliziere, dass alternative Positionen abnormal sind, sagt Reisigl. ... Gegenüber den „einfachen rhetorischen Normalitätsrezepten“ sei aber Misstrauen immer angezeigt, sagt Reisigl.


Ich habe die beiden Blöcke hier nach den beiden Experten geclustert und auch die tagespolitischen Bezugnahmen dazwischen ausgeklammert.

Meines Erachtens sprechen die beiden Aspekte bei der Verwendung von "Normalität" an, die auch hier bei der Diskussion zu Erotik und Sex volle Gültigkeit haben.

Was meint Ihr dazu? Die Diskussion ist eröffnet!
 
"Normal" ist wohl ein ähnlich schillernder Begriff wie "glücklich" (und noch weitere) und entzieht sich somit einer allgemein gültigen Definition, sprich: normal ist für den einzelnen das, was er als solches empfindet.
 
Jo bist Du net ganz normal :shock:
Bei dera Hitz' so a g'scheits Thema aureißen, wo ka normaler Mensch nu an klaren Gedanken fassn kann :mrgreen:
 
Man könnt den Begriff noch zu Political Correctness in Relation setzen.
Dass ordentlich die Fetzn fliegn, is eh Sommerloch.
 
Was die Sexualität betrifft gibt es bei einigen Menschen Probleme mit dem Begriff "Normalität", wenn sie mit mehr oder weniger extremen/ außergewöhnlichen/ grenzwertigen/ perversen Praktiken partout auch als "normal" gelten wollen, obwohl sie es gewiss nicht sind, aber zu wenig Selbstwertgefühl aufweisen, um zu ihrer Abnormalität stehen zu können.
 
"Normal" - dahingehend definiert, was die gesellschaftliche (durchschnittliche) Masse eben als "normal" empfindet...
... bin ich vielleicht nicht unbedingt. 🤔
Aber das wiederum... ist für mich selbst schon wieder ziemlich normal. 🤣👍

Ich glaube nicht an eine Wiedergeburt - ob nun als rosafarbenes Kaninchen oder sonstwas... und sehe es eher so, dass unser Leben auf den Zeitraum zwischen Geburt & Tod limitiert ist.
Daher - so meine Meinung - ist es durchaus sinnvoll, diese Zeitspanne nach dem Lustprinzip auszuleben und zu füllen - wir haben eben nur dieses EINE Leben.

Wenn ich etwas mag oder erleben/ausleben möchte, dann mache ich das - und hinterfrage nicht, was andere Mitmenschen wohl davon hielten, ob sie es goutierten, weil es der "Norm" entspräche. 🙄

Klar, gesetzliche Vorgaben werden (meistens) eingehalten - schließlich möchte man ja nicht hinter schwedischen Gardinen landen.
Aber selbst da... gebe ich zu... habe ich manchmal meine eigenen Grenzen.

"Normalität" ist also per se nichts, wonach ich mich verpflichtet fühlen würde, mein Verhalten danach auszurichten. 😎
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Was die Sexualität betrifft gibt es bei einigen Menschen Probleme mit dem Begriff "Normalität", wenn sie mit mehr oder weniger extremen/ außergewöhnlichen/ grenzwertigen/ perversen Praktiken partout auch als "normal" gelten wollen, obwohl sie es gewiss nicht sind, aber zu wenig Selbstwertgefühl aufweisen, um zu ihrer Abnormalität stehen zu können.
Wieso sollte jemand zu einer "Abnormalität" stehen, die er/sie selber gar nicht als solche empfindet?
Da scheint mir - zumindest un(ter)bewusst - doch der Versuch vorhanden, die Einteilung in "normal" und "abnormal" allgemeingültig vorzunehmen.
Fazit: Was ich als normal empfinde, werde ich für mich auch so bezeichnen, egal, wie jemand anderer das sieht.
Edit: Satzzeichen
 
Fazit: Was ich als normal empfinde, werde ich für mich auch so bezeichnen, egal, wie jemand anderer das sieht.
Finde ich gut... und durchaus richtig...

... wenn man seine eigene Normalität für sich selbst definiert - und nichts darauf gibt, wie Außenstehende dieses sehen.
Mache ich für mich ebenfalls.

Dennoch... bin ich mir stets bewusst, dass MEINE Normalität sich nicht unbedingt mit der Normalität anderer deckt.

Mich selbst würde ich deshalb zwar nie als "abnormal" kategorisieren...
... weiß aber, dass andere dies eventuell täten. Dessen sollte man sich schon bewusst sein. 😉
 
Was die Sexualität betrifft gibt es bei einigen Menschen Probleme mit dem Begriff "Normalität", wenn sie mit mehr oder weniger extremen/ außergewöhnlichen/ grenzwertigen/ perversen Praktiken partout auch als "normal" gelten wollen, obwohl sie es gewiss nicht sind, aber zu wenig Selbstwertgefühl aufweisen, um zu ihrer Abnormalität stehen zu können.

dazu kann ich nur die eingangs erwähnten zitate noch einmal anführen - mit denen ich mich selber völlig identifizieren kann:

„Wer bestimmt denn, was normal ist? Was ist für wen normal?“, ... Die Frage, was denn normal ist, hängt in erster Linie von der Person ab, die diese Frage beantwortet.... Jede Person habe eine gewisse Vorstellung davon, was in einer Gesellschaft normal sein soll. ... Gleichzeitig werde damit implizit bestimmt, was eben nicht unter Normalität zu fallen hat. ... Das habe Auswirkungen auf die Art und Weise des Zusammenlebens. ... „Wer anders denkt, ist abnormal, wer dagegen ist, ist nicht ganz bei Sinnen, wer anderes ist, gehört nicht dazu.“ ... „Wenn Sie Erfahrungen mit Ausgrenzung haben und Sie hören ständig, dass nur ein bestimmtes Verhalten normal sei, wie fühlen Sie sich dann?“, fragt Seville. ... Es sei nicht alles schwarz-weiß, bei Vorstellungen von „Normalität“ bestehe etwa eine Gleichzeitigkeit von Inklusion und Ausgrenzung.

... Zu bestimmten Zeitpunkten gebe es nämlich „verschiedene Normalitäten“ für unterschiedliche Menschengruppen. ... Normalitäten ändern sich also im Laufe der Zeit“, ... Wer die Normalitätsdefinition für sich in Anspruch nimmt und dabei ignoriert, dass verschiedene Normalitäten existieren, die nicht unveränderbar sind, impliziere, dass alternative Positionen abnormal sind, ... Gegenüber den „einfachen rhetorischen Normalitätsrezepten“ sei aber Misstrauen immer angezeigt, ...


wer partout in "normal und abnormal" einteilen will - noch dazu ohne qualifiziertes und aktuelles zahlenmaterial dazu, der läuft selber in gefahr einer bedenklichen selbstüberhöhung. im verdacht, etwas unbedingt verteufeln zu wollen, das einem selber nicht passt - und druck auf diejenigen ausüben zu wollen, die es praktizieren. die schaffung der eigenen welt als sub-norm im eigenen einflussbereich.

fragen, die man dazu stellen kann - nur als beispiele:

ist es - zumindest in österreich - schon "abnormal", zeit seines lebens nur mit einem einzigen partner sex zu haben?
würde das in japan vielleicht als "normal" gesehene herkömmliche geschehen beim sex in österreich als "abnormal" gesehen werden?
ist in österreich die weibliche bisexualität schon "normal"?
ist die verwendung von sextoys schon "normal"?
ist es praktizierter analsex?

etc. etc. etc.
 
Was die Sexualität betrifft gibt es bei einigen Menschen Probleme mit dem Begriff "Normalität", wenn sie mit mehr oder weniger extremen/ außergewöhnlichen/ grenzwertigen/ perversen Praktiken partout auch als "normal" gelten wollen, obwohl sie es gewiss nicht sind, aber zu wenig Selbstwertgefühl aufweisen, um zu ihrer Abnormalität stehen zu können.
Das was Normal oder schon Abnormal ist, ist sehr schwer festzulegen.
Wenn es eine Norm oder ein klare Definition ist es im Prinzip einfach.
Bauteile werden noch ihren Eigenschafften sortiert und dann eine Klasse zugeordnet.
Normal ist das was am häufigsten ist. zum Beispiele der Normalzustand: 20°Grad Celsius oder 25°C bei 760Torr.
Dinge die sich nicht spezifizieren lassen, ist das mit der Normalität extrem viel schwieriger.
Gut es gibt einen Durchschnittswert von eine physikalischen Größe .
Schwierigkeiten dabei:
a) Welche physikalische Größe ? Beim Sexualverhalten ??
b) Spannbreite oder die Standartabweichung , kann sie angegeben werden?
c) Welcher Bereich gehört noch zur Normalität? Exakt gibt es da nicht, denn das wäre dann so ca. eine Person die nicht existieren muss.

Die Messbarkeit ist das Problem.
Hi, Normalgewicht geht über den BMI , eine sehr simple aber schwammige Definition.
d) Wie kommuniziert man Kriterien die Normalität beschreiben?

Solange ich da keine klaren Kriterien habe , unterlasse ich es lieber ein Etwas oder eine Person als 'Normal' zu bezeichnen.
 
Es gibt viele Lebensbereiche, in denen Begriffe wie Normalität/ Toleranz eine wesentliche Rolle spielt, zuweilen sogar über Leben und Tod entscheidend sein kann. Warum sollte da die Sexualität, die in Extremfällen ebenfalls tödlich sein kann, ausgenommen sein?

Bewertungen des eigenen Verhaltens und das Anderer gehört nun mal unabdingbar zu einer kommunikativen Gesellschaft. Sei es in Form von Gesetzten, Regeln, Sitte und Moral, auch wenn sie subjektiver Ausdruck eigenen Empfindens sind. Ohne dem funktioniert eine Gesellschaft nicht.
 
Es gab zwar schon 2006 eine Debatte hier zum Thema, aber die will ich lieber ruhen lassen und aufgrund dieses heutigen ORF-Themas neu aufrollen: „NORMAL“ - Risiken eines Allerweltsbegriffs. Zwar ist dieser natürlich auf die aktuelle politische Debatte diesbezüglich gemünzt, aber die Experten treffen hier einige bemerkenswerte Aussagen, die weit darüber hinausgehen und auch genau unser zentrales Thema hier im EF berühren, wo die "Normalität" ja immer wieder diskutiert wird. Deswegen möchte ich ein paar Zitate aus diesem Beitrag herausgreifen:

Schnell entzündete sich eine Debatte über die Frage, wer bestimmt, was als „normal“ zu gelten hat. Der Allerweltsbegriff birgt nämlich auch viele Risiken.

„Normal“ und „Normalität“ gelten als unverdächtige Begriffe, sagt die deutsche Politikwissenschaftlerin Astrid Seville im ORF.at-Gespräch. ... „Wer bestimmt denn, was normal ist? Was ist für wen normal?“, fragt Seville, die an der Technischen Universität München Politische Theorie und Philosophie lehrt. Die Frage, was denn normal ist, hängt in erster Linie von der Person ab, die diese Frage beantwortet.... Jede Person habe eine gewisse Vorstellung davon, was in einer Gesellschaft normal sein soll. ... Gleichzeitig werde damit implizit bestimmt, was eben nicht unter Normalität zu fallen hat. ... Das habe Auswirkungen auf die Art und Weise des Zusammenlebens. ... „Wer anders denkt, ist abnormal, wer dagegen ist, ist nicht ganz bei Sinnen, wer anderes ist, gehört nicht dazu.“ ... „Wenn Sie Erfahrungen mit Ausgrenzung haben und Sie hören ständig, dass nur ein bestimmtes Verhalten normal sei, wie fühlen Sie sich dann?“, fragt Seville. ... Es sei nicht alles schwarz-weiß, bei Vorstellungen von „Normalität“ bestehe etwa eine Gleichzeitigkeit von Inklusion und Ausgrenzung.

In eine ähnliche Richtung argumentiert Martin Reisigl. Es gebe nicht „die“ Normalität, sagt der Linguist von der Universität Wien im ORF.at-Gespräch. Zu bestimmten Zeitpunkten gebe es nämlich „verschiedene Normalitäten“ für unterschiedliche Menschengruppen. Nicht selten sei aber eine bestimmte Normalität vorherrschend, die sich „später auch als Fehler erweisen kann. Normalitäten ändern sich also im Laufe der Zeit“, sagt Reisigl und erinnert etwa an die „gesunde Watsche“, die von vielen Menschen lange Zeit als „normal“ angesehen wurde. ... Wer die Normalitätsdefinition für sich in Anspruch nimmt und dabei ignoriert, dass verschiedene Normalitäten existieren, die nicht unveränderbar sind, impliziere, dass alternative Positionen abnormal sind, sagt Reisigl. ... Gegenüber den „einfachen rhetorischen Normalitätsrezepten“ sei aber Misstrauen immer angezeigt, sagt Reisigl.


Ich habe die beiden Blöcke hier nach den beiden Experten geclustert und auch die tagespolitischen Bezugnahmen dazwischen ausgeklammert.

Meines Erachtens sprechen die beiden Aspekte bei der Verwendung von "Normalität" an, die auch hier bei der Diskussion zu Erotik und Sex volle Gültigkeit haben.

Was meint Ihr dazu? Die Diskussion ist eröffnet!

Die Debatte wurde ja durch den Sager einer gewissen Frau Landeshauptmann ausgelöst, die 'Politik für Normaldenkende machen wolle'. Ein löbliches Vorhaben, so es denn in die Realität umgesetzt wird.

Für wen, noch gleich, macht sie aktuell Politik? (wenn die Politik für die 'Normaldenkenden' erst kommt?) :unsure: :undweg:
 
Wer ist schon normal? Ist normal Durchschnitt? Wer möchte gerne Durchschnitt sein? Aber möchte man deshalb gleich abnormal sein?


ich gebs zu, ich hab die Texte nur überflogen
 
Wer ist schon normal? Ist normal Durchschnitt? Wer möchte gerne Durchschnitt sein? Aber möchte man deshalb gleich abnormal sein?


ich gebs zu, ich hab die Texte nur überflogen

Ich würde meinen, die Auszeichnung mit dem Prädikat 'normal' stellt nur für jene ein erstrebenswertes Ziel dar, für die es eine Verbesserung darstellt. (Wie es halt so ist mit den Zielen: niemand arbeitet gezielt und bewusst auf eine Verschlechterung hin)
 
Zurück
Oben