Die Beschneidung von Mädchen ist aus medizinischer Sicht mit der von Jungen nicht vergleichbar. Was da passiert hat viel schlimmere Folgen für betroffene Frauen. Das kann man nicht so einfach nebeneinander stellen.
Das ist mir bekannt, spielt aber im Kontext mit Körperverletzung zunächst höchstens eine Rolle, wenn es um die Feststellung der Schwere geht, in erster Linie handelt sich beides um Körperverletzung.
Ebenso als Körperverletzung ist aber auch das Durchstechen vorn Ohrläppchen (wird schon bei Mädchen von 1 Jahr oder noch jünger gemacht) - kein religiöser Hintergrund, lediglich: "sieht niedlich aus" - die Eltern würden also nicht vor so einem immensen Gewissenskonflikt gestellt, wenn man es verbieten würde. Wurde m.W. bislang noch nicht gefordert. Da kann die Vermutung, es handle sich um eine unter Menschenrecht versteckte Aktion gegen Juden handeln, zumindest nicht einfach beiseite gewischt werden.
Hab mal ein bißchen gegoogelt, weil ich wissen wollte, was es mit der Beschneidung der Jungen auf sich hat. Wenn man als Gläubiger gelehrt bekommen und verinnerlicht hat, daß
Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. Jedes Knäblein, wenn's acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen. [
] Wenn aber ein Männlicher nicht beschnitten wird an seiner Vorhaut, wird er ausgerottet werden aus seinem Volk, weil er meinen Bund gebrochen hat.
Gen 17,1014 LUT
(Quelle:
wikipedia),
und wenn man als gläubiger Mensch sein Dasein durch und mit Gott lebt, dann muß es eine unglaublich beängstigende, existentiell bedrohliche Vorstellung sein, daß das eigene Kind aus diesem Bund mit Gott ausgestoßen wird. Inwieweit das nun theologisch begründbar ist, können vermutlich nur Religionswissenschaftler bzw. jüdische Gelehrte wirklich beurteilen, und ich könnte mir vorstellen, daß eine objektive Beurteilung schon dadurch erschwert wird, weil in der Geschichte das Beschneidungsverbot immer wieder auch als Unterdrückungsmittel gegen Juden eingesetzt worden ist, zuletzt in der Sowjetunion.
Die Beschneidung der weiblichen Genitalien gibt es ebenfalls schon seit Jahrtausenden in unterschiedlichen Kulturen, unter anderem auch im Islam und im Christentum, je nach Region. Hier hat ein Aufruf der koptischen Kirche in Ägypten (2001), daß eine Beschneidung der weiblichen Genitalien nicht christlich sei, bewirkt, daß in den koptischen Gemeinden diese Praxis fast vollständig aufgehört hat (
Quelle).
Wenn man nun gerecht beurteilen will, ob eine Beschneidung bzw. überhaupt ein körperlicher Eingriff gerechtfertigt sein darf, isses wohl nicht damit getan, daß man einfach feststellt, daß Körperverletzung gesetzlich verboten ist, es muß ja eine Rolle spielen, ob es rechtfertigende Gründe gibt:
Beispiele: jeder operative Eingriff stellt erstmal eine Körperverletzung dar, trotzdem wird es nicht viele geben, die eine notwendige Operation als kriminell sehen, ne?
Beispiel Ohrlöcher stechen: einen anderen Grund als Optik ist hier nicht erkennbar.
Beispiel "Segelohren": kein Kind, das Segelohren hat, hört deshalb schlechter. Trotzdem werden sie sehr oft operiert, die Gründe sind rein kosmetischer Natur, um einem Kind Hänseleien zu ersparen.
Beispiel Beschneidung von Mädchen: selten religiös begründet, oft entsetzliche Folgen je nach Art der Beschneidung, wird als "Verstümmelung" gewertet und zu Recht bekämpft. Folgen u.a.: Eltern, nach deren Überzeugung eine Beschneidung ein "Muß" ist, reisen mit ihren Kindern entweder in Länder, wo diese straffrei gemacht werden kann bzw. begeben sich in die Hände nichtmedizinisch ausgebildeter Leute, wo das vorgenommen werden kann. Sicher nicht aus Mangel an Liebe ihrem Kind gegenüber, trotzdem mit oft entsetzlichen Folgen. Aufklärung und eine "Entlastung" zumindest von der Angst, das eigene Kind könnte der Verdammnis anheimfallen, wenn die Beschneidung nicht stattfindet, scheint da wirkungsvoller zu sein als bloße Empörung und Verbot.
Beispiel Beschneidung von Jungen: medizinische Indikation - keine Frage. Religiöse Motivation: in jedem Fall ist das Motiv in erster Linie der Wunsch, der Sohn möge Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft finden. Es ist naheliegend, daß die derzeitige Praxis, die Beschneidung der Jungen durch Mediziner durchführen zu lassen, bei einem Verbot dahingehend verändert wird, daß die Beschneidungen durch Nichtmediziner durchgeführt werden und daß das Risiko von Folgeschäden evtl. dadurch größer wird.
Das einfach lapidar wegwischen zu wollen und für primitive Unsitte zu erklären halte ich für menschenverachtend. Wenn man selbst nie gläubig war, mag man dafür kein Verständnis haben, aber eine Nichteinhaltung solcher Gebote kann sich so entsetzlich anfühlen, daß es der Todesangst ähnelt, vielleicht noch schlimmer, betrifft es doch auch die Existenz über den Tod hinaus.
Man muß schon sehr zynisch sein, das mit bloßem primitiven Aberglauben wegargumentieren zu wollen und sich darüber zu mokieren, daß Gläubige so dumm seien, daß sie leichtfertig das Wohl ihrer Kinder zugunsten ihres Glaubens in den Wind schießen.
Ich möchte ehrlich nicht zu den Richtern gehören, die darüber zu befinden haben, wie hier richtig zu entscheiden ist. Ich denke aber, daß gläubige Juden in beiden Fällen wieder mit Vorurteilen und Ablehnung konfrontiert werden: wenn die Beschneidung erlaubt bleibt, werden die meisten "Verurteiler" dieser Praxis nicht sehen, daß es in unserer Kultur weitaus nichtigere Gründe gibt, das eigene Kind verletzen zu lassen und argumentieren, es handle sich um "bloße Verstümmelung" - sollten Beschneidungen aber tatsächlich verboten werden, muß das für gläubige Juden einen unglaublichen Konflikt und wieder einmal das Gefühl, ausgegrenzt und unterdrückt zu werden wegen ihres Glaubens.