Doch so charmant das für viele Briten klingen mag: Die Gedankenspiele sind eine Illusion. Die Brexit-Befürworter machen ihren Anhängern etwas vor. Weder das norwegische noch das Schweizer Modell ist auch nur annähernd realistisch für Großbritannien.
Relativ einfach lässt sich das bei Norwegen zeigen. Die Skandinavier haben es zweimal abgelehnt, Mitglied der EU zu werden. Norwegen gehört seit 1994 dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) an. Dieser trat 1994 in Kraft und öffnete seinen Mitgliedern den Binnenmarkt mit seinen 500 Millionen Verbrauchern.
Die Brexit-Befürworter unterschlagen beim Verweis auf Norwegen jedoch den Preis, den Oslo für die Vorteile des Binnenmarkts entrichtet: EWR-Mitglieder müssen in den europäischen Kohäsionsfonds einzahlen, mit dem soziale Unterschiede in der EU ausgeglichen werden. Norwegen nimmt zudem an einer Reihe weiterer EU-Programme teil und überweist dafür die gleichen Summen wie die Mitgliedstaaten.
Insgesamt kommen so mehr als 850 Millionen Euro pro Jahr zusammen. Berücksichtigt man noch, wie viel Geld Großbritannien von der EU erhält, zahlt Norwegen pro Bürger nahezu genauso viel wie das Vereinigte Königreich. Wenn man bedenkt, dass aufgrund des Briten-Rabatts 66 Prozent der Zahlungen wieder auf die Insel zurückfließen, zahlen die Norweger im Verhältnis deutlich mehr für ihre Light-Mitgliedschaft.
Dazu kommt: Norwegen muss zahlreiche EU-Vorschriften wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit akzeptieren, ohne Mitsprache in den europäischen Institutionen zu haben. Sollte Großbritannien also aus der EU austreten und dem EWR beitreten, müsste das Land weiter zahlen, die ungeliebten Vorschriften aus Brüssel weiter akzeptieren - und hätte keine Chance mehr, über die Bedingungen für den Binnenmarkt zu verhandeln.
"Die Briten würden ihren Einfluss in der EU verlieren, müssten aber alle Regeln befolgen", sagt Dennis Snower, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Der US-Amerikaner hat knapp 20 Jahre in London gelebt und geforscht, die "ökonomische Irrationalität der Brexit-Befürworter" nennt er "erschreckend".
Quelle:
Brexit-Debatte in Großbritannien: Die Mär vom Schweizer Modell - SPIEGEL ONLINE