Nach meinem Urlaub bin ich auf die interessante Diskussion in diesem Thread gestoßen, die auch überraschend sachlich geführt wurde, trotz des emotionalen Themas.
Ich denke, dass Inzest zumindest in Ausnahmefällen straffrei gestellt werden sollte. Ich erwarte, dass dies aufgrund der laufenden EGMR Beschwerde im hier zitierten Fall "Patrick" aus Deutschland auch bald zwingend notwendig sein wird.
Zur schon öfter zitierten
BVerfG Inzest Entscheidung möchte ich nämlich auf die ähnlich begründete Entscheidung des VfGH zum Fortpflanzungsgesetz hinweisen, wo ebenfalls die möglichen ungewöhnlichen Familienverbindungen ins Treffen geführt wurden. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat das Argument aber nicht gehalten (momentan ist der Fall allerdings vor der Großen Kammer) - also besteht auch die Möglichkeit, dass in naher Zukunft auch vom EGMR festgestellt wird, dass die generelle Bestrafung von Inzest das Privatleben verletzt, möglicherweise schon in der EGMR Beschwerde "Patrick".
Noch krassere Fälle mit Chancen vor dem EGMR könnten leicht entstehen, wenn Blutsverwandte eine Lebensgemeinschaft eingehen und Kinder haben, ohne von ihrer Verwandtschaft zu wissen - und sie sich dann nicht trennen lassen wollen, wenn sie ihre Verwandtschaft zufällig erfahren, aber miteinander eine Familie aufgebaut haben. Dieses Szenario ist im Hinblick auf die verbreiteten Patchwork Familien und die verbreiteten "Rosenkriege" gar nicht so unwahrscheinlich. Da könnte auch einmal der Vater im Swingerclub Sex mit der eigenen Tochter haben, die er nicht kennt, weil ihm die Mutter den Kontakt vergällt hat. Generell bewirken diese Beziehungen, dass das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Familie nicht mehr durch Blutsverwandtschaft definiert wird, sondern dadurch, wer mit wem zusammenlebt. (So war es auch im Fall "Patrick" - der wegen Inzest verurteilte Bruder ist in Jugendheimen aufgewachsen und hat seine Schwester erst als Erwachsener kennen gelernt - sie war für ihn eine völlig Fremde, auch wenn er über die Blutsverwandschaft aufgeklärt war.)
Im Hinblick auf diese Konsequenzen des modernen Lebensstils muss der Gesetzgeber schon nachdenken, ob Gesetze, wie das Inzestverbot, noch zeitgemäß sind, und kann sich nicht einfach auf den Codex Hammurabi berufen, wie der BVerfG. Zumindest müsste ausdrücklich klargestellt werden, dass unwissentlich begonnener Inzest straffrei fortgesetzt werden darf, auch wenn die Blutsverwandtschaft später bekannt wird. Schließlich handelt es sich bei diesen Paaren keineswegs um Menschen "die weder Hemmungen noch Skrupel haben, wenn's um Sex geht" (@Steirerbua vom 14.12.2010), sondern einfach um Opfer der Umstände. Es fällt hier auch das Argument weg, dass der Inzest aus einem Abhängigkeitsverhältnis innerhalb der Familie entstanden ist, wo Kinderschutz berechtigt sein könnte, was die Intention beim Codex Hammurabi war. (Da moderne Gesellschaften aber inzwischen andere Instrumente des Kinderschutzes kennen, als Hammurabi, und der Schutz der potenziellen Kinder vor Krankheiten auch kein gutes Argument ist, wie die schon zitierte
GFH-Stellungnahme zeigt, könnte man dann der Einfachheit halber auf die Bestrafung überhaupt verzichten.)