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Ich habe auch auf diese Website genau das gelesen: beim tantrischen Sex geht es darum die Energien im Körper zu behalten, anstatt sie nach außen zu entladen.
Ich würde sagen, "Ja... schon... aaaber..."
Lass mich versuchen, das ein bisschen auseinanderzudröseln.
Es gibt schon mal im alten indischen Tantra viele Bedeutungen - weil das Wort "Tantra" nämlich ursprünglich nicht eine bestimmte Lehrmeinung bedeutet, sondern (ua) eine bestimmte Art von religiösem Dokument - und dann später eine esoterische Variante von Religion, bis hin zur schwarzen Magie. ("Tantrik" ist in Indien beileibe kein Ehrentitel.) Aber nicht nur EINER Religion - es gibt hinduistisches Tantra, aber tibetischer Buddhismus ist auch tantrisch. Das Ganze ist absolut nicht simpel, und ich bin noch lange nicht so weit, dass ich mir zutraue, hier eine endgültige "Lehrmeinung" abzusondern.
Wenn wir uns nur auf nichtduales Shaiva Tantra beschränken - woher vermutlich die Lehren kommen, die heute im Westen als "Tantra" bekannt sind - dann geht es darum, schlicht ALLES als Aspekt "Gottes" zu verstehen und den Genuss darin zu erkennen. Mehr noch: Alles ist EINS. Es gibt keine Vielheit. Das ist (wenn man dran glaubt) eine Wahrheit, die man nicht einmal aussprechen kann, weil Sprache immer dualistisch ist.
Alles - Äpfel, Birnen, Katzen, Atombomben - sexuelle Enthaltsamkeit, Orgasmus, Hunger, Durst, Leidenschaft, sogar Tod.
Wie erreicht man das? Indem man immer wieder alles akzeptiert, was jetzt und hier passiert. Was bedeutet, dass man in dem Moment kein Ziel hat.
Und indem man yogische Atem- und Körperübungen macht. Das ist dann der Punkt, an dem die westliche "Tantra-Massage" ansetzt.
Wenn man also den Orgasmus anstrebt, womöglich als einziges Ziel von Sex, dann versperrt man sich den Zugang zu dieser Ekstase und Erkenntnis.
Wenn man aber den Orgasmus ablehnt, dann hat man ja auch wieder ein Ziel - nicht zu kommen - und versperrt sich auch diesen Zugang.
Ein gewisses "Energie-Management" gehört dazu. Enthaltsamkeit kann dazugehören. Energien aus den Genitalien "hochzuziehen", kann dazugehören. Chakren-Arbeit kann dazugehören. Auf Orgasmen völlig zu verzichten, kann dazugehören.
Das Ganze ist, wie alle nichtdualen Systeme, in sich widersprüchlich. Du akzeptierst das, weil es für dich funktioniert - oder eben nicht.
Tatsache ist, dass ich viel mehr Spaß habe - im Sex, aber auch im Leben überhaupt - seit ich sehr selten Orgasmen habe, schon gar nicht allein, und schon überhaupt nicht mit Pornos; und dass Meditation und Atemtechniken mein Leben noch viel mehr bereichert haben. Und seit ich übe, die Idee loszulassen, dass Orgasmus das Ziel im Sex ist, aber auch daran arbeite, das Gegenteil nicht zu tun.
Man muss das alles aber eben üben. Und das heißt, dass man sich eine Zeitlang das Ziel setzen muss, auch beim Sex nicht zu kommen. Es ist eine Annäherung, kein Ein/Aus-Schalter. Und schon gar kein Glaubenssystem. Sondern eine Praxis.
Ob das nun heißt, dass ich bald einmal erleuchtet werde? Ich wage es schwer zu bezweifeln, aber ich lasse mich gerne überraschen.