was haltet ihr davon? sind wir zeitzeugen der errichtung einer diktatur im nachbarland?
Viktatur heißt das!
Im Ausland gibt sich Ungarns Premier Orbán als guter Demokrat. Doch in seinem Land setzt er eine Politik um, die von der rechtsextremen Partei Jobbik inspiriert wird. EU-Partner wollen das nicht wahrhaben - und schauen weg. "Ehrlich, sauber, authentisch" - so preisen sich Ungarns Rechtsextremisten der Jobbik-Partei gern an. Besonderen Wert legen die "Rechteren" und "Besseren", wie der Parteiname übersetzt lautet, auf die Authentizität ihrer Programmatik. Doch sie haben ein ernstes Problem: Ständig, so beschweren sich führende Jobbik-Politiker, würde die Regierungsmehrheit unter Ministerpräsident Viktor Orbán der Partei "Themen und Ideen stehlen" und sie dann als ihre eigene Politik verkaufen.
Ungarns Rechtsextreme, die bei den Wahlen 2010 17 Prozent erhielten, sind aus gutem Grund frustriert. Viktor Orbán und seine Regierungsmehrheit haben längst einen Rechtsaußenkurs eingeschlagen. Kaum eine Woche vergeht mehr, in der Politiker der Orbán-Partei Fidesz (Bund Junger Demokraten) oder prominente Parteisympathisanten nicht in irgendeiner Weise rechtsextreme Positionen vertreten. Kürzlich etwa forderte ein Mitglied der regierungstreuen Ungarischen Kunstakademie (MMA), der Dirigent Ádám Medveczky, eine Art geistige Ausbürgerung der Schriftsteller György Konrád, Péter Esterházy und Imre Kertész. Kertész hatte 2002 den Literaturnobelpreis bekommen.
"Wer als Ungar geboren wird, aber im Ausland den Ungarn schadet und Ungarn beschimpft", sagte Medveczky dem Fernsehsender ATV, während er auf die drei Schriftsteller Bezug nahm,
"der kann nicht als Ungar betrachtet werden." Ähnlich wie Medveczky hatte sich zuvor der MMA-Präsident György Fekete geäußert und zugleich gefordert, dass bei "keinem Akademiemitglied das genetische Gefühl des Nationalismus fehlen" dürfe. Die MMA ist kein belangloses Gremium, sondern ein inoffizielles Kulturministerium mit weitreichenden kulturpolitischen Befugnissen.
"Unpatriotisches" wird unter dem MMA-Präsidenten Fekete finanziell nicht mehr gefördert. Und "unpatriotisch" sind nach dieser Lesart auch Konrád, Esterházy und Kertész - sie gelten vielen rechtsgesinnten Ungarn pauschal als Vaterlandsverräter, weil sie sich kritisch mit den politischen Zuständen in ihrer Heimat auseinandersetzen.
"Es gibt keine klaren Grenzen mehr zwischen dem Gedankengut von Fidesz und Jobbik", kommentiert der Schriftsteller György Dalos. Was er für die Kulturpolitik konstatiert, gilt auch in vielen anderen Bereichen ungarischer Regierungspolitik: Teils abgemildert, teils völlig unverändert setzen Orbán und seine regierende Partei einen großen Teil der rechtsextremen Jobbik-Programmatik um:
+ Im Gedenken an den Friedensvertrag von Trianon, durch den Ungarn 1920 zwei Dittel seines Territoriums verloren hatte, erklärte die Orbán-Regierung bei ihrem Amtsantritt im Mai 2010 den 4. Juni gesetzlich zum "Tag des nationalen Zusammenhalts" aller Ungarn in aller Welt. (Nur so nebenbei: Am 24. Juli 2011 hielt Orbán anlässlich der Sommerakademie Tusványos im rumänischen Siebenbürgen eine programmatische Rede, in der er seine Vision von der ungarischen Nation in- und außerhalb der Staatsgrenzen Ungarns skizzierte).
+ Statuen angeblicher kommunistischer Landesverräter wurden geschleift und - unter Beteiligung von Fidesz-Politikern - solche für den Reichsverweser Miklós Horthy aufgestellt, der mitverantwortlich für den Holocaust an den ungarischen Juden war.
+ Der Nationale Grundlehrplan (NAT) empfiehlt antisemitische Schriftsteller der Zwischenkriegszeit als Lektüre. Das Mediengesetz verpflichtet Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien, mit ihrer Berichterstattung die nationale Identität zu fördern. Und die seit 2012 gültige Verfassung beschwört in ihrer Präambel den Geist des
Horthy-Regimes.
+ Die Auszahlung von Sozialhilfe knüpfte die Regierung an den Zwang zu gemeinnütziger Arbeit und Ordnungskontrollen in Wohnungen, eine vor allem gegen Roma gerichtete Maßnahme.
+ Die Rechte paramilitärischer Bürgerwehren wurden gestärkt, das Recht auf bewaffneten Selbstschutz auf eigenem Grund und Boden eingeführt, ein Zugeständnis an Roma-Hasser.
+ Im Sommer 2010 warf die Regierung den Internationalen Währungsfonds unter patriotischem Getöse aus dem Land. Sie führte eine finanziell unergiebige, aber populistisch wirksame "Krisensteuer" ein, die ausländische Konzerne zahlen müssen. Ein mit populistisch-antikapitalistischen Sprüchen verkündetes Kreditmoratorium, das faktisch nur auf die Fidesz-Klientel zugeschnitten war, ermöglichte es privaten Schuldnern 2011, Fremdwährungskredite an ausländische Banken zu einem festgelegten Zinssatz vollständig zurückzuzahlen. Wirtschaftsminister György Matolcsy spricht stolz von einer "unorthodoxen" Wirtschaftspolitik.
Viele Brüsseler Politiker schweigen zu dem Thema oder spielen es herunter. So lässt Wilfried Martens, der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der auch die deutsche CDU ebenso wie die ungarische Fidesz gehört, auf Anfrage knapp wissen, die Fidesz teile als EVP-Mitglied die Besorgnis über Extremismus. Orbán habe immer "die Notwendigkeit betont, diesem Problem zu begegnen". Nur wenige europäische Parteifreunde des magyarischen Ministerpräsidenten werden deutlich. So hatte sich die EU-Kommissarin für Justiz und Grundrechte, Viviane Reding, kürzlich entsetzt über den Fall des Publizisten Zsolt Bayer geäußert. Bayer, Mitbegründer der Regierungspartei und enger Orbán-Freund, hatte Anfang Januar nach einer Messerstecherei im Ort Szigethalom südlich von Budapest, in die Roma verwickelt gewesen sein sollen, in dem Fidesz-nahen Rechtsaußenblatt "Magyar Hírlap" geschrieben:
"Ein bedeutender Teil der Zigeuner ist nicht geeignet, unter Menschen zu leben. Sie sind Tiere. Diese Tiere sollen nicht sein dürfen. In keiner Weise. Das muss gelöst werden - sofort und egal wie." In der Fidesz-Parteiführung hatte niemand öffentlich Anstoß an Bayers Artikel genommen, eine Parteisprecherin hatte ihn als "eigene Meinung" des Autors bezeichnet, und der Fidesz-Kommunikationschef Máté Kocsis verstieg sich gar zu der Aussage, wer gegen Bayers Artikel protestiere, "stellt sich auf die Seite der Mörder", sprich der Roma - obwohl bei der besagten Messerstecherei niemand ermordet worden war.
Dabei hatte Ungarns Regierungspartei Fidesz noch vor wenigen Wochen den Eindruck erweckt, als wolle sie sich wirklich klar von Rassenhass abgrenzen. Der Anlass war die
"Judenlisten-Forderung" der Jobbik-Partei Ende November des vergangenen Jahres gewesen. Damals hatte ein Abgeordneter der rechtsextremen Jobbik-Partei im Parlament verlangt, die
"in Ungarn lebenden Juden in Listen zu erfassen" und zu prüfen, "welche Juden, insbesondere im Parlament und in der Regierung", ein "Sicherheitsrisiko" für Ungarn darstellten. Daraufhin hatte der Fidesz-Fraktionschef Antal Rogán Anfang Dezember auf einer Großdemonstration gegen Jobbik eine Rede gehalten und Antisemitismus in Ungarn scharf verurteilt.
Doch Fidesz-Kritiker bezweifeln, dass die Partei und vor allem der Regierungschef Viktor Orbán es ernst meinen mit der Abgrenzung von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Antiziganismus. Der Historiker Krisztián Ungváry, der gerade ein bedeutendes 700-Seiten-Werk über das Horthy-Regime der Zwischenkriegszeit vorgelegt hat, bezeichnet die Fidesz-Politik als "Augenwischerei".
"Die Partei spricht mit zwei Zungen", sagt Ungváry.
"Einerseits grenzt sie sich von Rechtsextremismus ab, um vor dem Ausland gut dazustehen, anderseits ehrt sie antisemitische Schriftsteller der Zwischenkriegszeit oder vertritt in parteinahen Zeitungen rechtsextreme Positionen, weil sie die Wähler der Rechten an sich binden will."Auch der Politologe Attila Tibor Nagy vom Budapester Méltanyosság-Institut glaubt nicht an einen Richtungswechsel. Zwar gebe es in einigen Teilen der Fidesz-Partei eine aufrichtige Empörung über Rechtsextremismus, so Nagy. "Aber dieser Teil, der einen klareren proeuropäischen Kurs will, ist in der Partei im Augenblick nicht entscheidend."
Am 18. April 2011 wurde mit den Stimmen der FIDESZ eine seit dem 1. Januar 2012 gültige neue Verfassung verabschiedet, in der als Prinzipien unter anderem der Bezug auf Gott, die ungarische Krone (Stephanskrone) sowie die Begriffe Vaterland, Christentum, Familie, Treue, Glaube, Liebe und Nationalstolz verankert sind. Zudem wurde der Staat von Republik Ungarn in Ungarn umbenannt, die republikanische Staatsform somit aus dem offiziellen Staatsnamen getilgt. Durch die Festschreibung der traditionellen Familienwerte könnten auch z. B. Abtreibungen verboten werden, da die neue Verfassung vorschreibt, das Leben sei vom Moment der Empfängnis an zu schützen. Ebenso werden Benachteiligungen für Homosexuelle und Alleinerziehende befürchtet. Weiter sieht die Verfassung vor, dass der - gegenwärtig aus drei Orbán-Gefolgsleuten bestehende - Haushaltsrat der Zentralbank das Recht erhält, das Parlament des Landes aufzulösen, wenn der Haushalt nicht entsprechend der Normen der neuen Verfassung verabschiedet wurde. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichts wurden eingeschränkt, insbesondere im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Nun darf nicht mehr jeder Bürger vor diesem Gericht klagen, auch Städten und Gemeinden ist dieses Recht nun verschlossen. Nur der Staatspräsident, die Regierung, der Parlamentspräsident, der Ombudsmann für Grundrechte, der jeweilige Gesetzesinitiator (bei noch nicht verkündeten Gesetzen) oder mindestens ein Viertel der Parlamentsmitglieder dürfen die Überprüfung von Gesetzen durch den Verfassungsgerichtshof veranlassen. Außerdem kann die Regierung nun ihren Einfluss auf die Justiz mehren.
Die Möglichkeiten der Ungarn, über Volksentscheide auf die Politik Einfluss zu üben, wurden erheblich eingeschränkt. So darf es unter anderem keine Referenden zu Verfassungsänderungen sowie zu den Wahlgesetzen geben.
Keno Verseck & FUCK YOU ALL.