Mir ist das Thema heute nicht aus dem Kopf gegangen. Es ist richtig, je älter wir werden, desto öfter werden wir im allgemeinen mit dem Tod konfrontiert. "Die Einschläge kommen näher" ist so ein Spruch, den ich jetzt häufiger höre, wenn im Bekannten-, Verwandten- und Freundeskreis Menschen sterben oder lebensbedrohlich erkrankt sind. Natürlich macht man sich mehr Gedanken um die eigene Sterblichkeit, wenn man damit hautnah konfrontiert wird.
Nur: Biografien und die damit einhergehenden Erfahrungen verlaufen nicht synchron, es mag zwar "das Übliche" sein, daß man mit zunehmendem Lebensalter häufiger mit dem Tod und der Frage, was wohl danach kommt, konfrontiert wird, aber bei mir war's halt anders, bei etlichen anderen, mit denen ich aufgewachsen bin, war's ebenso.
Mag auch sein, daß dann vermehrt auf das zurückgegriffen wird, das einem irgendwann mal Halt und Trost versprochen hat, für viele ist das der liebe Gott und Jesus. Meiner Erfahrung nach - betrifft jetzt die Menschen, mit denen ich in Kontakt stehe bzw. stand - war der weitaus häufigere Fall: Wut, Verzweiflung, die Frage: "Wenn es einen Gott gibt, warum läßt er dann zu..." Nachvollziehbar, wenn auch nicht unbedingt tröstlich.
Ich glaube deshalb eben nicht, daß Glauben vom Alter abhängt, sondern mit den Nackenschlägen, mit denen man im Leben früher oder später konfrontiert wird - einerseits. Und andererseits auch mit der Haltung, mit der man dem, was einem im Leben so begegnet, entgegentritt.
Für mich kann ich eigentlich nur sagen:
Ich glaube trotzdem, dass jeder Mensch es schaffen kann, dass er seinem eigenen Tod ruhig und gelassen entgegen sehen kann. Ob als gläubiger Mensch oder als nicht glaubender, eines Umstandes können wir alle uns gewiss sein: der Tod bringt uns Ruhe und Frieden.
Ja, das sehe ich auch so, unbedingt.
Was soll für einen selbst aus Todesfällen, oder nicht selbst verursachten schlimmen Schicksalsschlägen gelernt werden?
Sollen: vielleicht nix, das ist Sache der Gläubigen. Können: sehr viel, eigentlich alles.
Du schreibst von "nicht selbst verschuldeten" Schicksalsschlägen (damit befindest du dich in guter, christlicher Tradition
) - ich sehe das anders. Jeder Mensch erleidet Schicksalsschläge, die einen früher, die anderen später. Jeder Mensch wird mit dem Tod konfrontiert, und damit auch mit der Endlichkeit seines eigenen Daseins.
Ich gehe hier mal wieder von mir aus. Wenn dir sehr früh alle Bezugspersonen wegsterben, dein Umfeld plötzlich verschwindet und du damit als eine der ersten Lebenserfahrungen verinnerlicht hast, daß nichts, absolut gar nichts von Bestand und tragfähig ist, dann ist das natürlich entsetzlich. Aber: du fängst auch an, dich nach neuen, Halt gebenden Dingen umzusehen, kann gar nicht anders sein, sonst zerbrichst du. Wenn ich anderen von meiner Biografie erzähle, erlebe ich so oft, daß sie schockiert, mitleidig oder ungläubig reagieren, weil sie meinen, ich müsse ja zerbrochen am Boden liegen, tagtäglich mit dem Schicksal hadern oder müsse lügen, wenn ich sage: die meiste Zeit in meinem Leben geht's mir trotz der einen oder anderen übriggebliebenen Macke eigentlich saugut.
Das ist nachvollziehbar, wenn ich mir vergegenwärtige, daß Leute nur vor ihrem eigenen Erfahrungshintergrund ausgehen können, das heißt: SIE würden zerbrechen, mit ihrem Schicksal hadern, würden unvorstellbaren Kummer empfinden, wenn sie ihre Liebsten durch Gewalt oder Tod verlieren.
Was sie nicht wissen können, ist, daß es "danach" weiter geht. Man sagt zwar: "Das Leben geht weiter", aber wirklich vorstellbar ist es glaube ich den wenigsten. Und das, denke ich, ist es, was wir durch Schicksalsschläge lernen können und vielleicht auch das, was Religionen uns vermitteln wollen. Alle handeln von Katastrophen, vom Umgang mit Leid, von der Verantwortung gegenüber Gott, seiner Mitmenschen, sich selbst gegenüber vor allem. Mir ist keine Religion bekannt, die nicht von ihren Anhängern ausdrücklich verlangt, an sich zu arbeiten, Neid, Mißgunst, Schwächen zu bekämpfen. Mir ist auch keine Religion bekannt, die von ihren Anhängern erwartet, vollkommen zu
sein, sondern: nach bestem Vermögen nach Vollkommenheit zu
streben.
Das ist der eigentliche Kern, den ich in den verschiedenen Glaubensrichtungen sehe. Den kann man natürlich in der Gnade eines personifizierten Gottes festmachen oder in der eher ethisch-philosophischen Grundhaltung beispielsweise des Buddhismus oder auch wie ich eben in dem Anspruch, den man an sein eigenes Leben stellen will. Wie auch immer: das ist es, was wir von "Schicksalsschlägen" lernen können, und das hab ich im Lauf der Jahre als sehr tröstlich empfunden.