Interessante Betrachtungen des KURIER-Herausgebers, Helmut Brandstätter, zur europäischen und auch österreichischen Sozialdemokratie:
In der neuen Ausgabe des Hamburger SPIEGEL wird die Krise der europäischen Sozialdemokratie analysiert. Da darf Österreich nicht fehlen. Wie so oft, wenn der SPIEGEL über unser Land schreibt, findet man Fehler im Detail – die Arbeitslosigkeit in Österreich liegt leider nicht bei zwei Prozent, wie es hier heißt. Sie beträgt freilich auch nicht neun Prozent, wie Herr Wallentin in der Krone schreibt - von einem Rechtsanwalt könnte man mehr Akkuratesse erwarten, aber wahrscheinlich geht´s ihm nicht um Fakten, sondern um eine Kampagne, gegen oder wofür eigentlich? Vielleicht hat er auch nur die Zahlenreihen verwechselt, wir liegen auf Platz 9 der EU-Statistik, mit 5,4 Prozent.
Aber zurück zur Sozialdemokratie: Sie regiert nur mehr „an der europäischen Peripherie“, jedenfalls, wenn Christian Kern am 15. Oktober die Wahl verliert, wovor ihn laut SPIEGEL nur mehr ein Wunder retten kann. Die Gründe sind vielfältig, und natürlich hängen sie auch mit Personen zusammen. Die Vertreter des „3.Weges“ wie Gerhard Schröder oder Tony Blair waren charismatisch genug, um Wahlen zu gewinnen und analytisch genug, um ihre Parteien auf die neue Arbeitswelt inklusive Globalisierung einzustellen. Aber wahrscheinlich waren sie zu pragmatisch für eine Bewegung, die ihre Anhänger immer auch mit dem Herzen ansprechen wollte. Wie das heute nur mehr die alten Zauseln Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders können. Mit mehr Gefühl, weniger Silberstein-Analysen und ohne Fussi-Wichtigmachereien, wie sie das Profil auch in seiner aktuellen Ausgabe wieder beschreibt, würde die SPÖ heute anders da stehen.
Die Krise der Sozialdemokratie besteht aber auch darin, dass ein Teil ihres Elektorats einfach weggebrochen ist. Die Arbeiter fühlten sich gut vertreten, aber viele Arbeitsplätze sind einfach weggefallen. Viele der sogenannten Modernisierungsverlierer gingen schon zu Haiders FPÖ, und vor allem in Wien ist die SPÖ davon ausgegangen, dass die Zuwanderer, die oft einfache Arbeiten übernommen haben, schon SPÖ wählen würden.
Nun ist die Geschichte der 2. Republik nicht nur die wachsenden Wohlstands, sondern vielmehr die des Aufstiegs von Arbeitern zu Angestellten und von Arbeiterkindern zu Spitzen der Gesellschaft, nicht nur, aber auch in der Politik. Christian Kern ist nur das aktuelle Beispiel, fast alle seiner Vorgänger als SPÖ-Chefs, mit Ausnahme des Bürgersohnes Bruno Kreisky, kamen aus „einfachen Verhältnissen“, wie übrigens auch die ÖVP-Chefs Kinder von Bauern waren oder aus dem Kleinbürgertum kamen. Der Erfolg Österreichs wäre undenkbar ohne die große Durchlässigkeit der Gesellschaft, bis jetzt jedenfalls.
Hier müsste die Integration ansetzen, mit der sich der KURIER seit Sonntag in einer großen Serie beschäftigt. Und hier könnte die Sozialdemokratie wieder eine Bestimmung finden. Begonnen hat sie im 19. Jahrhundert mit Arbeiterbildungsvereinen. Jetzt könnte sie sich darum kümmern, dass Zuwanderer Lust am Aufstieg durch Bildung spüren. Wie wir vom AMS wissen, sind aber auch Türken der 2. Generation daran nicht interessiert. Statt Weiterbildung wollen sie einfache Jobs, die aber immer weniger werden. Und anstatt in Bildung hat die SPÖ Wien in Verblödung der Menschen durch den Gratis-Boulevard investiert. Dass Gratis-Österreich jetzt besonders penetrant Kurz-Werbung mit von der SPÖ verteiltem Steuergeld macht, könnte dieser zu denken geben. Freilich, in Wien wird man durch Schaden dumm.