Die Moskau-Connection der Separatistenführer: Soldaten des Heiligen Russland
Von Benjamin Bidder, Moskau
Nach dem Abschuss von Flug MH17 gelten die Separatisten als Massenmörder, Russland dagegen sieht sie als Helden. Die Anführer der Kämpfer sind zwei Männer aus Moskau. Sie träumen von einem neuen russischen Weltreich, das auch Kiew umfassen soll.
Die Wut bricht sich Bahn im Westen nach dem Absturz von Flug MH17, der wohl ein Abschuss war. 298 Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als die Hälfte von ihnen aus den Niederlanden. Am Samstag nach dem Unglück klagt die Zeitung "De Telegraaf" an: "MÖRDER" schreibt sie auf der Titelseite, daneben die Fotos der Anführer der prorussischen Separatisten.
Den Russen bietet sich ein anderes Bild an den Kiosken in Moskau. Dort liegt die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitung "Sawtra - Der Morgen", erschienen kurz vor der Katastrophe, am Donnerstag. Die erste Seite zeigt den Oberkommandierenden der Separatisten: Igor Iwanowitsch Girkin, stoischer Blick, Heldenpose. "Für die Heilige Rus" steht darunter. Der Leitartikel lobt Girkin als "russischen Krieger, Ritter und tadellosen Helden".
"Für die Heilige Rus", das umreißt in wenigen Worten eine politische Agenda. Rus hießen die Reiche der Slawen im Mittelalter. Die Kiewer Rus war das bedeutendste, es gilt als Wiege der russischen Zivilisation. "Für die Heilige Rus", das heißt: Kiew und die Ukraine gehören zu Russland.
Bei "Sawtra" denkt man imperial
Es ist eine Herausforderung, die politische Ausrichtung von "Sawtra" zu beschreiben. Das Blatt bündelt Strömungen, die es in Deutschland nicht gibt. Mal hebt "Der Morgen" Sowjetdiktator Josef Stalin auf den Titel, mal einen der Zaren, deren Herrschaft von den Kommunisten beendet wurde. Bei "Sawtra" ist das kein Widerspruch, dort denkt man imperial: Gut ist, wer Russland ihrer Meinung nach großmacht. Schlecht sind die Nato, die Opposition und gelegentlich die Juden.
Die Verehrung der "Sawtra"-Mitarbeiter für den Rebellenkommandeur hat einen zweiten Grund: Er ist einer der ihren. Girkin hat für die Zeitung geschrieben, ebenso ein weiterer Anführer der Separatisten, Alexander Borodaj. Beide haben einen russischen Pass und sind aus Moskau in die Ukraine gereist. Erst auf die Krim, als "Berater" von Krim-Premier Sergej Aksjonow, dann in die Ostukraine. Borodaj führt dort als "Premierminister der Volksrepublik" das Wort bei Verhandlungen, Girkin das Kommando bei Gefechten.
Girkin, ein hagerer Mann mit Schnauzer, hatte Anfang April die Macht in Slowjansk übernommen, einer Hochburg der Rebellen. Anfang Juli zog sich seine Einheit nach Donezk zurück, seitdem führt sie dort das Kommando. Die "New York Times" berichtete über brutale Strafaktionen: Ein Plünderer wurde hingerichtet, den Befehl dafür unterzeichnete Girkin.
Borodaj spricht für die Separatisten
Borodaj hielt den Kontakt mit den Separatisten zunächst aus Moskau, das belegen vom ukrainischen Geheimdienst abgehörte Telefonate. Später kam er selbst in den Donbass, seither gibt er Interviews im Namen der Separatisten, keine Verhandlung findet ohne ihn statt.
Beide Rebellenführer haben einen russischen Pass. Das bestätigt den Verdacht, dass der Konflikt auch aus Moskau angefacht wird. Kiew hält Girkin und Borodaj deshalb für Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU, die Kämpfer für Söldner, den Konflikt für künstlich von Moskau entfacht.
Das stimmt nur zum Teil: Die Russen nutzen vorhandene Spannungen zwischen dem Osten und der prowestlich orientierten Regierung aus, verstärken sie mit TV-Propaganda. Selbst Separatisten müssen aber zugeben, dass die "Volksrepublik" ohne die Männer aus Moskau zusammenbrechen müsste. Es gebe einen "Mangel an lokalen Kadern".
Gorbatschow gilt ihnen als Verräter
Die Russen kommen gern. Die Anführer aus Moskau kämpfen nicht des Geldes wegen, sondern aus Überzeugung. Girkin war schon 1992 dabei, damals sagte sich der russisch geprägte Landstrich Transnistrien vom Staat Moldau los.
Michail Gorbatschow gilt in solchen Kreisen als Verräter. Sie lasten ihm den Untergang des kommunistischen Weltreichs an. Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer wirkt das für Europäer verschroben. Ähnlich wie das Faible des Rebellenführers Girkin für alte Uniformen. Fotos zeigen ihn in der Rüstung eines römischen Legionärs und in der Kluft eines Rotarmisten aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs.
In Kiew haben die Aufnahmen für Schmunzeln gesorgt. Diese imperialen Sehnsüchte als Folklore abzutun, ist aber ein Fehler. Das zeigt das Beispiel von Verschwörern, die 2005 mit Sprengsätzen und Maschinenpistolen den Wagen des liberalen Politikers Anatolij Tschubais angriffen, des Vaters der umstrittenen Privatisierung. Der Kopf der Gruppe - ein Oberst des Militärgeheimdienstes GRU - gilt vielen in Russland als Held.
Der Kalte Krieg hat nur Pause gemacht
In diesem Weltbild ist der vom Westen geachtete Michail Gorbatschow dagegen ein Verräter, verantwortlich für den Niedergang der roten Weltmacht. Der Kalte Krieg mit dem Westen war in den Augen des "Sawtra"-Chefredakteurs nie vorbei. Er hat nur Pause gemacht.
Ist Russlands Präsident Putin in dieser Logik ein Held? Sie haben es gehofft, im Jahr 2000, als er die Macht gerade übernommen hatte vom verhassten Boris Jelzin. Dann aber machte Putin Platz im Kreml für Dmitrij Medwedew, einen Liberalen. Der Chefredakteur von "Sawtra" schrieb damals ein Buch über seine Enttäuschung: "Der Putin, an den wir geglaubt haben", heißt es.
Die Annektierung der Krim hat ihnen wieder Mut gemacht. Wenn Kommandeur Girkin über Ziele spricht, spricht er nicht nur von Donezk, sondern von der "Befreiung des Südostens". Gemeint ist die halbe Ukraine, von Charkiw bis Odessa, ein Gebiet, das zu Zarenzeiten mal "Neurussland" hieß.
Aber Putin zögert. Der Kreml lässt die Separatisten in der Ostukraine zündeln, aber reguläre Truppen rücken nicht ein. Allein werden sie den Kampf kaum gewinnen, das wissen auch die Anführer. Sie hoffen weiter auf Putins Soldaten. "Wir dürsten danach", sagt Borodaj.
Quelle: Spiegel Online