was lest ihr gerade? - der literaturthread!

haben wir alle das selbe Werk gelesen?
Ja haben wir :)
im Lichte des Terrors von PLO, RAF und IRA
Das war zu meiner Schulzeit – Mitte der 80er – quasi kein Thema (mehr), allen voran die RAF die schon lange nicht mehr existent war, die PLO war damals „nur“ mehr Arafat und die IRA Bomben waren nicht nur selten, sondern auch „weit weg“.
Bei uns waren die größten Feinde bereits die Umweltverschmutzung, schmelzende Atomkraftwerke und natürlich nicht zu vergessen amerikanische und sowjetische Atomwaffen.
Und nicht zu vergessen der beginnende Aufstieg eines vkumpelhaften, hemdsärmeligen Volkstribuns“ der innerhalb einer Stunde die Wandlung zum strammen pfeiferauchenden Trachtenanzugträger durchmachte und später „gleich der Sonne vom Himmel stürzen sollte“.
Da fanden sich gar viele Parallelen in der Literatur aller Epochen

Da war es durchaus so, dass die aufklärerische Interpretation humanistischer Dilemmata bei klassischen Werken im Vordergrund stand.

Im Kontext der jetzigen Zeiten würde ich dieses (und auch andere) Werk(e) auch anders als damals interpretieren, neige jedoch dazu ein künstlerisches Werk im Zuge der Interpretation im Umfeld der Zeit und des Schaffenden zu belassen.

Analogien und Parallelen würde/habe ich immer als solche und als Eigene und nicht allgemein gültige „gekennzeichnet“. Heutzutage schreibe ich keine Interpretationen meghr ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Hab mir jetzt lange überlegt, ob ich zu Kohlhaas auch noch einsteigen soll. Könnt ja ne längere Geschichte werde und so Fan bin ich von dem Werk nicht.

Ein Punkt der hier noch nicht aufkam ist der, dass Kohlhaas um Recht zu bekommen alles aufgab und verlohr. Sich sein Recht zu erkämpfe heisst eben auch, seine Komfortzone zu verlassen. Dazu muss man gewisse Mittel bereits haben um diesen Schritt zu gehen. Zum einen eine gewisse gesellschaftliche Stellung und zum anderen braucht es eine geistige Anstrengung.
Soweit kommen die Meisten erst gar nicht. Und so stellt sich mir die ersten Fragenzeichen zu deiner (Tom) steilen Interpretation:

Ich orientiere mich am - auch hier im Toleranzthread gebrachten - Zitat von Thomas Mann, wonach Toleranz zum Verbrechen wird, wenn sie dem Bösen gilt. Demnach wäre die Zivilbevölkerung nicht "unschuldig und unbeteiligt", weil die Zivilbevölkerung durch ihr Schweigen, ihre Toleranz den Untaten des Adels gegenüber, diese erst ermöglicht hätten.

Inwiefern kann man den Rest als nicht unschuldig und unbeteiligt wirklich sehen. Ist es schon eine Schuld wenn eigentlich nur ein Unvermögen besteht? Wer opfert sein ganzes Leben wegen zwei abgemagerte Rösser? Die meisten nehmen lieber die Schikanen des Adels in Kauf. Nicht sonderlich Heldenhaft aber doch auch sehr menschlich so das ich ihnen keine Schuld zuweisen könnte.

Gerade heute ist das wieder ein Thema, Embargos gegen Nord Korea schaden sicher nicht Kim Jong Un, sondern Millionen Menschen hungern und zig Tausende sterben. Dürfen wir das? Ich meine, wir dürfen das. Damit aber muss man auch feststellen, dass RAF, IRA, PKK, ETA, Rote Brigaden, PLO, etc. legitim handeln.

Nun aber da steht der Kohlhaas dagegen, denn er hat erst alle möglichen Mittel ausgeschöpft bis er zur seinen Gräueltaten schritt. In den oben genannten Beispielen von dir sehe ich das definitiv nicht so...

Und auch Kohlhaas morderei ist nicht zweifelhaft, denn er setzte was in Bewegung, dass er spöter so gar nicht mehr kontrollieren konnte. Auch wirkt der Kohlhas in dem Moment völlig anders als im Rest des Werkes. Er der sich sonst so dem Recht verpflichtet sieht, gerät in einen puren Rachefeldzug. Es ist auch bei Kohlhaas eine klare Überreaktion.

Unabhänig davon ist natürlich auch immer zu fragen, inwiefern agressive Taten wirklich noch der ursprünglichen Sache dienen können? Oftmals übertönen die Taten/ das Gräuel den Zweck dahinter. Sie können sogar gegen das eigentliche Ziel verwendet werden und das einzige was bleibt ist eine trübe Spirale von Hass und Gewalt...

Bei Kohlhaas mag das am Ende zwar besser aufgehen, aber die Geschichte ist auch ein schönes Konstrukt, weg von der eigentliche Realität.

Heute hätte man noch ein weiteres Feld der Analogie, denn zu meiner Zeit gab es keine Schulmassaker. Hier wäre aber eine ähnliche Situation, eine starke, mächtige Gruppe von Schülern mobbt einen oder mehrere schwache:down: Schüler, viele an sich unbeteiligte Schüler sehen zu und helfen nicht, ignorieren das Leid. Der oder die Gemobbte:down: üben Selbstjustiz. 1:1 Kohlhaas mit der Einschränkung, dass die Schüler heute die Möglichkeit haben, rechtlich und sonst Hilfe zu bekommen, was Kohlhaas nicht hatte.

Aber die Argumentationen der Schulmassaker (Columbine, Emsdetten) sind sehr ähnlich dem, was Kohlhaas wiederfahren ist.

LG Tom

Naja, die Möglichkeiten von gemobbten Schülern sind auch heute noch sehr begrenzt. Auch wenn sie sich Hilfe suchen, diese kommt kaum in die schmerzenden Strukturen, die ein Schüler täglich erleben kann, an... So gesehen funktioniert diese Analogie, für meine Verständnisse, fast noch am besten.
 
Hi,

Die meisten nehmen lieber die Schikanen des Adels in Kauf. Nicht sonderlich Heldenhaft aber doch auch sehr menschlich so das ich ihnen keine Schuld zuweisen könnte.

das ist die übliche Interpretation. Die teile ich nicht. Durch ihr Nichtstun, durch ihr "erdulden", das "Inkaufnehmen" geben sie den Ursupatoren erst die Macht, andere zu unterdrücken. Kommt auch immer zum ungünstigsten Zeitpunkt aufs Tapet, z.B. bei der #metoo Debatte, Frauen, die Vergewaltiger und Missbraucher nicht anzeigen wären dann Mitschuld an weiteren Opfern.

Neu dürfte Dir das Argument also nicht sein. ;)



In den oben genannten Beispielen von dir sehe ich das definitiv nicht so...

Provokant würde ich jetzt Kreisky zitieren: "Lernens Geschichte junge Frau". Las mich mal nicht provozieren:

Die ETA ist während der Franco Diktatur entstanden, wo Menschen nach Folter oft "verschwunden" sind, die hatte zweifelsfrei keine Andere Möglichkeit! Auch heute noch wird immer wieder der politische Arm der ETA sie die Herri Batasuna, 2008 wurden die spanischen Parteigesetze auch vom EGMR verurteilt. Auch die Kausa Carles Puigdemont vom letzten Jahr dürfte Dir nicht unbekannt sein.

Erst seit den 1980er Jahren, nach dem Militärputsch von 1981, könnte man überhaupt davon sprechen, dass die ETA theoretisch andere Methoden gehabt hätte als Gewalt.

Die PLO, nunja, bis heute hält der Staat Israel an den von der UN kritisierten völkerrechtswidrigen Dingen fest, die die Palästinenser benachteiligen. Wenn ein Staat völkerrechtswidrig gegen einen Teil seiner Bevölkerung vorgeht, dafür auch verurteilt wird, und ohne den Schutz der USA schon längst internationale Militärschläge gegen diesen Staat durchgeführt worden wären, da sprichst Du dieser Bevölkerungsgruppe ab, alles getan zu haben?


Die IRA, von 1919 bis 1922 war die IRA die Armee des von England besetzten Irlands. Von 1922 bis 1923 kämpfte die IRA im irischen Bürgerkrieg (und verlor), und existierte dann bis 1969 weiter relativ bedeutungslos.

Ab 1969 wurde der von England gedeckten Terror gegen Iren bzw. Katholiken im Norden Irlands so schlimm, das sich die IRA spaltete, in die offizielle IRA (wegen Bedeutungslosigkeit vergessen) und die provisorische IRA, die Provisionals, die wir heute meist als IRA kennen (siehe Bloody Sunday).

Zumindest ab 1969 kann man der IRA nicht nachsagen, nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Ganz abgesehen davon, dass die meisten Zivilisten von pro britischen Kräften getötet wurden, nur selten waren Zivilisten Opfer der IRA.


Die PKK entstand ebenfalls Anfang der 1970er Jahre, als in der Türkei Rechtsradikale wie die grauen Wölfe de facto einen Bürgerkrieg gegen linke Organisationen führte, zumindest bis zum türkischen Putsch 1980.

Brigate Rosse, ist Dir bekannt, dass Italien von 1969 bis 1982 eine rechte Terrorwelle existierte, mit ober 5.000 Anschlägen, mehreren hundert Toten, tausenden Verletzen? Die Propaganda Due und die Ordine Nuovo versuchten mit fingierten Anschlägen einen Staatsstreich durchzuführen und ein antikommunistisches Regime zu errichten. Zur P2 gehörte der Premierminister Forlani (1981 zurückgetreten, die drei amtierenden Leiter der italienischen Geheimdienste, der Sohn des letzten Königs von Italien und auch ein Unternehmer, an sich unbekannt, Silvio Berlusconi). Im Zuge dessen wurden illegal linke Aktivisten massenhaft festgenommen, während eines Verhörs starb der Anarchist Giuseppe Pinelli im Dezember 1969.

Pinellis Tod, wie auch Benno Ohnesorgs Tod und das Attentat auf Rudi Dutschke, waren Auslöser für die Gewaltanwendung der Linken.

Dabei wird historisch meistens der (oft staatlich gestützte) rechte Terror vergessen, ich meine aber doch, dass die da verantwortlichen der BR und RAF subjektiv wirklich jede andere Alternative ausgeschöpft hatten.


Es ist auch bei Kohlhaas eine klare Überreaktion.

Mangelt es da nicht ein wenig an Empathie, dem Kohlhaas gegenüber?


LG Tom
 
Hi,



das ist die übliche Interpretation. Die teile ich nicht. Durch ihr Nichtstun, durch ihr "erdulden", das "Inkaufnehmen" geben sie den Ursupatoren erst die Macht, andere zu unterdrücken. Kommt auch immer zum ungünstigsten Zeitpunkt aufs Tapet, z.B. bei der #metoo Debatte, Frauen, die Vergewaltiger und Missbraucher nicht anzeigen wären dann Mitschuld an weiteren Opfern.

Neu dürfte Dir das Argument also nicht sein. ;)

Das ist die übliche Interpretation?! Habe ich selber so aber nicht erlebt. Bei Kohlhaas sind die meisten sehr schnell dazu verleitet, seine extreme Aktionen gutzuheissen. Mir war eben genau diese Ansicht zu trivial ;)

Natürlich ist mir die Argumentation nicht neu. Sie ist ja auch nicht grundsätzlich falsch und ich begrüsse sie auch in anderen Bereichen sehr, um zu sensibilisieren und die Leute zu einer aktiven Rolle zu ermutigen. Diese Argumentation bröckelt für mich aber, sobald sie Gewalttaten versucht zu legitimieren.


Provokant würde ich jetzt Kreisky zitieren: "Lernens Geschichte junge Frau". Las mich mal nicht provozieren.

(...)

Dabei wird historisch meistens der (oft staatlich gestützte) rechte Terror vergessen, ich meine aber doch, dass die da verantwortlichen der BR und RAF subjektiv wirklich jede andere Alternative ausgeschöpft hatten.

Ja, mit allen historischen Begebenheiten und den genannten Grupoen kenne ich mich nicht aus. Das stimmt. Aber mit denen die ich mich etwas auskenne, (ETA, RAF, PLO) lässt sich doch ganz klar fragen, inwiefern Gewaltakte je zielführend waren? Dabei muss man sich ja nur mal anschauen, welchen Ruf diese Organisationen geniessen... Wie gesagt, Gewaltakte auszuüben macht einem immer selber angreifbar und kann dem Ziel schneller schaden als nutzen. (Auch bei Kohlhaas gibt es diese Momente...)

Ich meine so gesehen lassen sich ja auch die islamistische Terrorakte gutheissen... Die kämpfen ja auch nur gegen die brutale Unterdrückung des Westens...
Aber eben, diese Argumentationsschiene halte ich für sehr fragwürdig und gefährlich und man macht es sich damit zu schnell zu einfach...

Mangelt es da nicht ein wenig an Empathie, dem Kohlhaas gegenüber?

LG Tom

Empathie sollte nie dazu führen seine Ratio auszuschalten. Natürlich kann man den Kohlhaas verstehen und seine Aktion nachvollziehen. Sie aber deshalb gleich gut zu heissen zeugt eher von geringer geistiger Auseinandersetzung.

Schlussendlich bin ich der Meinung, dass es unmöglich ist seinen wilden Racheakt für gut oder schlecht zu empfinden. Diese Ambivalenz lässt sich nunmal nicht gänzlich auflösen und das macht das Werk schlussendlich ja auch gut und genau das lässt sich auch auf anderes übertragen. In den vielen Konflikten dieser Welt verwischen die Grenzen zwischen Gut und Böse zuemlich schnell... Der Kohlhaas von Kleist soll uns dazu ermutigen (so wäre zumindest meine Interpretation), nicht zu schnell ein Urteil zu fällen oder manchmal gar keines fällen zu müssen...
 
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...Gesellschaftsroman/Unterhaltungsliteratur.....


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Klappentext

Aus dem Bulgarischen von Thomas Frahm. Vladimir Zarev erzählt im Roman "Familienbrand" die Familiengeschichte der Weltschevs. Petruniza, die Witwe des alten Assen Weltschev, lebt mit ihren fünf Kindern in Widin, einer verschlafenen Kleinstadt am Unterlauf der Donau. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird auch Widin in den Strom der Politik gerissen; in diesen unruhigen Zeiten suchen die Brüder Weltschev ihr Glück auf unterschiedliche Weise: Panto macht Karriere als Bankier, Ilija als Fabrikant und Ausbeuter. Christo, der sich für den Sozialismus begeistert, wird zum Helden wider Willen, und Jordan will eine Kirche bauen, einen Ort der Buße, doch es wird eine Raststätte, ein Ort der Muße für Sünder aller Art.


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Ich stehe voll auf die Krimis vom Loibelsberger. Habe "Die Naschmarktmorde", "Reigen des Todes" und "Mord und Brand", vierter Teil ist schon bestellt.
Ich mag Loibelsberger ebenso gerne, sie sind sehr toll recherchiert und man kann sich in das Thema einleben. Finde aber auch seine Venedig-Krimis ganz gut. (Leider schon alles von ihm gelesen)
 
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