Lesenswertes Interview mit Sabrina Sanchez und Luca Stevenson von ESWA (
European Sex Workers Alliance) im "Moment":
"Die meisten Menschen arbeiten nicht aus Spaß"
Das soll der Anstoss und der Anknuepfungspunkt fuer mich sein, doch kurz (zumindest) vom ersten Tag der Sexworker-Konferenz in Wien zu berichten.
Ich moechte durch diese Anmerkungen/Beobachtungen keinerlei Shitstorm ausloesen und setze auch ausdruecklich meinen Disclaimer, sollte ich irgendetwas missverstanden haben oder jetzt hier missverstaendlich oder falsch ausdruecken.
11.00-11.30h Welcoming and Introduction by Aaron and Trajche from Red Edition (GER/EN)
11.45-12.30h The diversity of the sexindustry & work-migration by tyga dares (EN)
12:30-12:45h Coffee Break
12.45-13.30h Advancing sex workers' rights in Europe: obstacles, successes and lessons from ICRSE by Luca Stevenson (EN)
13.30-14.30h Lunch Break
14.30-15.45h Panel disscusion: Community Engagement with tyga dares, Luca Stevenson, Jessica Stoya, Sabrina Sanchez, Velvet Steel / Fabienne Freymadl (EN)
16.00-17.00h Medienhuren - Vom Spannungsverhältnis von Sexarbeit und Medienlandschaft by Velvet Steel / Fabienne Freymadl (GER)
Tyga Dares arbeitet bei/mit dem in Linz ansaessigen Verein
MAIZ, der sich eigentlich auf ein breiteres Arbeitsspektrum, naemlich grundsaetzlich die Beratung und Betreuung von Migrantinnen, konzentriert. Ein paar Schwerpunkt ihres Referats:
- Fuer SW aus dem Ausland ergibt sich ein doppeltes Problem: der Migrationshintergrund und die (allgemeinen) Probleme von Sexarbeiterinnen
- Der Begriff "Migrantinnen" ist leider sehr negativ besetzt und damit diskriminierend; Zuwanderinnen aus DE oder dem UK werden nicht in diese Kategorie gesteckt.
- Es gibt im P6 die Dichotomie "privilegierte, weisse, freiwillige" vs. "arme, migrantische, ausgenuetzte/erzwungene" Sexarbeit - wir kennen diese Diskussionen ja auch aus dem Forum.
- Tyga leitet daraus (fuer mich etwas einseitig und kuehn) ab "Arbeit zur Selbsterfuellung ist ein neoliberaler Mythos" - wobei ich mir vorstellen kann, dass in der Arbeit im MAIZ dieses "mythische" (aber meiner Meinung nach durchaus existente) Konzept der Sexarbeit kaum oder nicht vorkommt.
- Tyga beklagt - durchaus mit Bezug auf eines der (wenn nicht das) Hauptargument(e) der Abolitionist(inn)en -, dass Sexarbeit so reflexartig mit Menschenhandel verbunden wird.
Siehe auch (Paywall)
Bei der internationalen Konferenz „Red Rules Vienna“ wurde ein Blick in eine Branche gewährt, die ansonsten wenig beachtet wird
kurier.at
Luca Stevenson ist seit vielen Jahren ein engagierter Interessenvertreter fuer SW mit seinem Haupttaetigkeitsgebiet in Frankreich (u.a. bei/mit STRASS, der frenazoesischen TDS [= travailleurs/-euses du sexe] -Gewerkschaft) und Belgien. Er war bis vor kurzem Chefkoordinator von
ICRSE (dem International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe - siehe dazu auch vor einiger Zeit mein Hinweis auf einen
Lobbying-Erfolg von ICRSE im Europaeischen Parlament und auch
hier).
Irgendwie ist ICRSE jetzt uebergegangen auf
ESWA, und teilweise scheint ein neues Team an der Arbeit zu sein. Chefkoordinatorin ist jetzt Sabrina Sanchez, selbst
(private Anmerkung: etwas schrille) Trans-SW aus Lateinamerika.
- Luca stellt ICRSE/ESWA vor und betonte drei Hauptarbeitsfelder, die mir aus meiner eigenen Taetigkeit in der Interessenvertretung sehr bekannt vorkommen:
- Building capacity, d.h., den SW selbst zu ermoeglichen, ihre Arbeit besser, effizienter, selbstbewusster, ... ausfuehren zu koennen. ZB durch Workshops, u.a. in den Bereichen Gesundheit, Kommunikation und Marketing, Recht, ...
- Advocacy/Policy, d.h. die Einflussnahme auf politischen und gesellschaftliche Meinungsblidungsprozesse zum Thema Sexarbeit Kampagnen, oeffentliche Veranstaltungen, politische Statements und schriftliche Stellungnahmen
- Research and Evidence Building, d.h. - unerlaessliche Voraussetzung auch fuer Advocacy - die Sammlung von Fakten und Zerstreuung der Falschinformation, die ueber den Sektor der Sexarbeit regelmaessig in die Welt gesetzt wird.
- Er betont, dass das "Movement", also die Organisation von SW zur gemeinsamen Interessenvertretung, waechst und daher immer staerker ...
- ... organisierte Arbeit in der Vertretung braucht ...
- Die groesste Gefahr bei dieser Entwicklung sieht er in internen Konflikten innerhalb des Sektors.
- (Anmerkungen Archie:
- Genau das sehen wir ja auch im Mikrokosmos Oesterreich - Schön im Kreis bezeichnen einander die einzelnen Interessenvertreter[innen] und -vereinigungen als jeweils inkompetent, unrepraesentativ, schaedlich usw.
- Das Basisproblem ist halt - und das wurde auf der Konferenz zwar oft beschworen, aber dann nicht in Konequenz weitergedacht -, dass der P6-Sektor schon SW-seitig sehr heterogen ist und einzelne Gruppen dann ihre Partikular-Challenges (zB Migrationshintergrund, Sprachen, LGBTQIA* , ...) nicht nur in den Vordergrund stellt, sondern manchmal auch zum alleinigen Problem hochstilisiert.)
- Waehrend des gesamten Tages wurde ein Satz immer wieder als Kernproblem in der (bisherigen) Interessenvertretung fuer SW angesprochen: "The representatives are not representative". (Dazu merke ich, auch aus eigener beruflicher Erfahrung, an: Solange dies ein Vorwurf der aussenstehenden Stakeholder = der Adressaten der Arbeit ist, ist das unvermeidbar, und dieser Vorwurf ist nur durch intensive Arbeit zu widerlegen. Kommt der Vorwurf aus der vertretenen Community, so ist er fuer die Vertretungsarbeit toedlich. Aber leider glaubt halt oft jede einzelne Gruppe in einer so vielfaeltigen Branche, dass ihre Probleme, Ansichten und Mitarbeiter die allein repraesentativen sind.)
Zu ESWA, Sabrina und Luca hier auch nochmals der Link zum Interview mit ihnen anlaesslich der Konferenz:
Über Sexarbeit wird viel diskutiert, seltener kommen Sexarbeiter:innen selbst zu Wort. Mit MOMENT.at sprechen sie über Gewalt, Sexkaufverbot und die Auswirkungen der Pandemie.
www.moment.at
Ich hoffte, dass in der Diskussion nach der Mittagspause dann noch ein paar Aspekte der Lobbyarbeit neu zur Sprache kommen wuerden, vor allem auch, weil mit
Irena Fercik die Policy Officer (also irgendwie Chef-Lobbyistin) der ESWA auf dem Sofa Platz nahm, die selbst eher aus der Arbeit zum Thema Menschenhandel kommt und (ich hoffe, ich habe das richtig verstanden) keine Erfahrungen als SW hat. Ich habe mir erlaubt, in einer Wortmeldung eine kurze Anmerkung dazu zu machen, dass effektive Interessenvertretung ein Arbeitsgebiet und ein Skill an sich ist, unabhaengig vom spezifischen Fachgebiet - weil die Fachinfo in einem Verband ja letztlich von den Mitgliedern kommt, aber von Lobbying-Experten transportiert werden kann/sollte.
Ein Satz, der auch durchgehend immer wieder aufkam, mir als wesentlich wichtiger als der oben zitierte vorkommt und eigentlich der Kern und Driver der Interessenvertretung jeder Branche, jedes Volkes, jeder Gesellschaftsgruppe, jedes Anliegens sein muss:
Nothing about us ... without us! Dazu dann auch noch gleich,
... als Abschluss des Tages
Fabienne Freymadl /
Velvet Steel (zb auch
hier oder
hier), die einen sehr interessanten Querschnitt durch Aspekte der Medienarbeit gibt: Einerseits berichtet sie ueber die Ergebnisse einer Auswertung des Artikelarchivs des Berliner Beratungs- und Vertretungs-Vereins
Hydra eV. Andererseits gibt sie Tips, worauf SWs (und ihre Vertreter(innen)) bei ihrer Medienarbeit besomnders achten sollten.
Ich bemuehe mich derzeit noch, ihre Praesentation zu bekommen, um mir die Wiedergabe der gut strukturierten Slides hier zu ersparen. Sobald ich sie habe, werde ich sie hier (samt Link zu diesem Monsterposting) hereinstellen.
A propos Monsterposting: Ich bin jetzt hungrig und gehe mittagessen ... und wenn ich zurueckkomme, werde ich die Tippfehler etc. in diesem Posting
nicht ausbessern. Mahlzeit.