Der Fall "Jan Böhmermann"

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Ich gehe davon aus, dass eine Regierung sich was dabei denkt, wenn sie zustimmt oder ablehnt. Da sie keine rechtliche Beurteilung abgeben darf, bleibt nur die politische Entscheidung.
Richtig, und die politische Entscheidung lautete, nicht in das Prinzip der Gewaltenteilung einzugreifen und die Justiz über diesen Fall entscheiden zu lassen. Ich bin deshalb nach wie vor der Meinung, dass die Regierung sich bei ihrer Entscheidung etwas gedacht hat, nämlich dass sie dieses Grundprinzip eines Rechtsstaats nicht ohne Not durchbrechen will.

Auch das hätte sie mit ""aus heutiger Sicht eine Fehlentscheidung"" einfach und plausibel erklären können. Wie gesagt, es geht um Politik, nicht um juristische Gepflogenheiten. Es steht auch in keinem Gesetz, dass eine Regierung zustimmen muss. Die Regierung ist in ihrer Entscheidung nicht gebunden.
Es geht in diesem Fall aber eben nicht um Politik, sondern um Strafrecht. Und dort gelten sehr wohl "juristische Gepflogenheiten".
 
Richtig, und die politische Entscheidung lautete, nicht in das Prinzip der Gewaltenteilung einzugreifen und die Justiz über diesen Fall entscheiden zu lassen. Ich bin deshalb nach wie vor der Meinung, dass die Regierung sich bei ihrer Entscheidung etwas gedacht hat, nämlich dass sie dieses Grundprinzip eines Rechtsstaats nicht ohne Not durchbrechen will.

Naja, das kann man auch anders sehen. Ein Zulassen ist ebenso ein Eingriff in die Gewaltenteilung, wenn auf Grund einer politischen Überlegung entschieden wird, ob nach § 103 oder § 185 zu verhandeln ist.

Zeigt aber auch das Dilemma und wie sehr der § 103 abgeschafft gehört.

Es geht in diesem Fall aber eben nicht um Politik, sondern um Strafrecht. Und dort gelten sehr wohl "juristische Gepflogenheiten".

Sehe ich anders. Das Zulassen oder nicht ist eine rein politische Entscheidung und hat mit:

Doch, in der Juristerei zählen sehr wohl frühere Entscheidungen als Basis für folgende, und zwar in schöner Regelmäßigkeit. Lies Dir doch bitte ein beliebiges Urteil durch, Du wirst fast immer irgend einen Verweis auf eine frühere Entscheidung finden.
Geht ein Gericht oder eine Behörde von einer früheren Rechtspraxis ab, muss es/sie dies genau begründen. Im Fall des § 103 kann die Begründung jedoch niemals lauten, dass "gleiches Recht für alle mehr wiegt als eine Sonderstellung für Despoten - jedenfalls heutzutage und in Europa" - wäre dem nämlich so, gäbe es den § 103 gar nicht mehr; die Regierung würde mit so einer Begründung eindeutig gegen das Gesetz handeln.

nichts zu tun. Die Regierung ist in ihrer Entscheidung völlig frei und braucht sie nicht einmal begründen. Es läge auch kein "gegen das Gesetz handeln" vor. ( hier gegen § 103 )

Das von mir Vorgschlagene wäre lediglich eine Erklärung, warum so entschieden wurde und keine Begründung im jur. Sinn.
 
Naja, das kann man auch anders sehen. Ein Zulassen ist ebenso ein Eingriff in die Gewaltenteilung, wenn auf Grund einer politischen Überlegung entschieden wird, ob nach § 103 oder § 185 zu verhandeln ist.

Zeigt aber auch das Dilemma und wie sehr der § 103 abgeschafft gehört.
Gehört er zweifellos, trotzdem steht er momentan im Gesetzbuch, und daher muss in einem Rechtsstaat davon ausgegangen werden, dass dies bewusst so ist. Ich frage mich aber tatsächlich, warum keine Regierung in den letzten Jahrzehnten diese Bestimmung abgeschafft hat, obwohl die Deutschen ja schon öfters G'wirks damit hatten.

Sehe ich anders. Das Zulassen oder nicht ist eine rein politische Entscheidung und hat mit:

nichts zu tun. Die Regierung ist in ihrer Entscheidung völlig frei und braucht sie nicht einmal begründen. Es läge auch kein "gegen das Gesetz handeln" vor. ( hier gegen § 103 )
Die Regierung ist juristisch gesehen sehr wohl eine Behörde. Sie ist in ihrer Entscheidung genauso frei wie ein Gericht. Aber selbst höchstgerichtliche Entscheidungen müssen begründet werden. Insbesondere wenn man sich als deutsche Regierung des Öfteren dazu berufen fühlt, anderen Ländern zu erklären, wie Demokratie und Rechtsstaat geht, wäre eine begründungslose Nichtweiterleitung der Anzeige ein fatales Zeichen. Eine Missachtung von Grundregeln des Rechtsstaates wäre es auch zu sagen "es gibt zwar diesen § 103, aber wir halten ihn nicht für zeitgemäß". Eine Entscheidung, ob eine gesetzliche Regel "zeitgemäß" ist, obliegt in einem demokratischen Rechtsstaat allein dem Parlament, in Ausnahmefällen auch dem Verfassungsgericht.
 
Insbesondere wenn man sich als deutsche Regierung des Öfteren dazu berufen fühlt, anderen Ländern zu erklären, wie Demokratie und Rechtsstaat geht, wäre eine begründungslose Nichtweiterleitung der Anzeige ein fatales Zeichen.

Das ist natürlich auch ein Argument. Würde allerdings bedeuten, dass grundsätzlich alle Anzeigen zugelassen werden müssten. Welchen Sinn hätte der § 103 / 104a dann überhaupt je gehabt?

Satiriker säßen alle für 5 Jahre ein. Ganz im Sinne Erdogans. Oder Klappe halten. Auch ganz im Sinne Erdogans.

Kann man nur hoffen, dass das Gericht Milde walten lässt, denn ich fürchte, dass Böhmermann rechtlich schlechte Karten hat, wenn ihn nicht der Umstand, dass es Satire war, rausreisst. Ohne die Satire gesehen war es eine Beleidigung.
 
Der Dönermann erhebt Einspruch !
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Das ist natürlich auch ein Argument. Würde allerdings bedeuten, dass grundsätzlich alle Anzeigen zugelassen werden müssten. Welchen Sinn hätte der § 103 / 104a dann überhaupt je gehabt?
Der 103er hat Sinn gehabt im Jahr 1871, als er ins StGB angeblich aufgenommen wurde. Damals fühlten sich Majestäten tatsächlich als etwas Besseres. Der 104a? Schwer zu sagen. Das ist eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips, also eh etwas sehr Seltsames. Ich vermute, man wollte der Regierung eine Handhabe geben für Krisenfälle, z.B. wenn das Oberhaupt eines verfeindeten Staates anzeigt, dass man das Verfahren gleich ung'schaut abwendet.
Ich habe ein bisschen im Internet gesucht, aber keine befriedigende Erklärung für die Zwischenschaltung der Bundesregierung gefunden.

Satiriker säßen alle für 5 Jahre ein. Ganz im Sinne Erdogans. Oder Klappe halten. Auch ganz im Sinne Erdogans.

Kann man nur hoffen, dass das Gericht Milde walten lässt, denn ich fürchte, dass Böhmermann rechtlich schlechte Karten hat, wenn ihn nicht der Umstand, dass es Satire war, rausreisst. Ohne die Satire gesehen war es eine Beleidigung.
Hier habe ich wiederum einige Kommentare gelesen, die gut für Böhmermann argumentieren. Das Gedicht sei zwar zweifellos Schmähkritik und beleidigend, aber im eingebetteten Kontext als "edukative" Satire zu werten. Das deckt sich auch mit einem früheren Beitrag von mir. Ehrlich gesagt bin ich aber froh, das nicht entscheiden zu müssen ;). Es ist tatsächlich ein Grenzfall, und man muss hoffen, dass Staatsanwaltschaft und Gericht eine gute, rechtlich tragbare Entscheidung treffen.

Satiriker, die Erdogan auf die Schaufel nehmen, werden im Übrigen auch in Zukunft nicht einsitzen oder mundtot gemacht werden, sofern sie die Grenze zur Beleidigung nicht überschreiten. Mit einer Klage gegen den vorangegangen "Extra3"-Film hätte sich Erdogan bspw. brausen gehen können.
 
Das Gedicht sei zwar zweifellos Schmähkritik und beleidigend, aber im eingebetteten Kontext als "edukative" Satire zu werten.

Ich habe aber auch schon von Anwälten gehört, dass die "Edukation" u.U. die Beleidigung nicht aufhebt.

Beispiel: Ich darf nicht sagen, Herr xy ein Arschloch wäre. = keine Beleidigung ( Konjunktiv )

Ich darf folgendes nicht sagen: Herr xy, sie sind ein Arschloch. = Beleidigung

Letztere Variante kommt der des Herrn Böhmermann näher als die erste.

Ich bin auf das Urteil auch gespannt, allerdings halte ich eine Einstellung gegen Geldzahlung für wahrscheinlicher.

Satiriker, die Erdogan auf die Schaufel nehmen, werden im Übrigen auch in Zukunft nicht einsitzen oder mundtot gemacht werden, sofern sie die Grenze zur Beleidigung nicht überschreiten.

Nur wo ist die Grenze? Davon hat so mancher eine ganz andere Auffassung als die Satiriker. Wenn zunehmend gegen Satire mit Morddrohungen und Bombenanschlägen vorgegangen wird und Typen wie Erdogan das Umfeld dafür anheizen, dann gute Nacht Satire.
 
Nur wo ist die Grenze? Davon hat so mancher eine ganz andere Auffassung als die Satiriker. Wenn zunehmend gegen Satire mit Morddrohungen und Bombenanschlägen vorgegangen wird und Typen wie Erdogan das Umfeld dafür anheizen, dann gute Nacht Satire.
Das hat jetzt aber mit der strafrechtlichen Grenze zwischen Satire und Beleidigung gar nichts zu tun.

Kriminalität und Gewalt gegen Satiriker gehört natürlich aufs Schärfste bekämpft. Ich sehe eine viel größere Gefahr für die Satire viel eher in Meinungen, die nach den diversen Drohungen gegen Jyllandsposten - bzw. Dänemark als Ganzes - oder den Anschlägen auf Charlie Hebdo zu vernehmen waren und verlauteten, man solle doch keine Witze über Mohammed reißen oder Karikaturen von ihm machen, weil die Moslems sich ja provoziert fühlen könnten. Wenn sich solche Meinungen breit durchsetzen, sind sie viel gefährlicher als vereinzelte Urteile nach einem geordneten Gerichtsverfahren, die aus meiner Sicht richtigerweise und fundiert eine Grenze zwischen Satire und Beleidigung ziehen.
 
Der 104a? Schwer zu sagen. Das ist eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips, also eh etwas sehr Seltsames.
Ist es nicht. Sinn des § 103 ist, diplomatische Zerwürfnisse mit anderen Staaten zu vermeiden. Der § 104 sieht ausdrücklich vor, dass die Regierung der Verfolgung zustimmen muss, quasi als Drittbeteiligter, der zu entscheiden hat, ob die Verfolgung im staatlichen Interesse ist, weil durch die Beleidigung eines fremden Staatsoberhauptes ein außenpolitischer Schaden für den Staat entstanden ist.
Das heißt, Merkel hätte einfach sagen können: Die angebliche Beleidigung ist eine Sache zwischen Erdogan und Böhmermann. Der deutsche Staat hat kein Interesse an der Strafverfolgung. Wenn Erdogan daran ein Interesse hat, kann er als Privatperson nach § 185 Anzeige erstatten.
 
Satire darf meiner Meinung nicht alles.
Satire soll eine überspitze Darstellung wahrhaftiger Ereignisse darstellen, um damit auf Gefahren hinzuweisen, um daraus resultierend auf eine mögliche bevorstehende Verschlimmerung der Situation hinzuweisen oder um eine Verbesserung einzufordern.
Satire darf keine Lügen verbreiten.
Satire darf keine unbegründete Beleidigungen lostreten.
 
Ist es nicht. Sinn des § 103 ist, diplomatische Zerwürfnisse mit anderen Staaten zu vermeiden. Der § 104 sieht ausdrücklich vor, dass die Regierung der Verfolgung zustimmen muss, quasi als Drittbeteiligter, der zu entscheiden hat, ob die Verfolgung im staatlichen Interesse ist, weil durch die Beleidigung eines fremden Staatsoberhauptes ein außenpolitischer Schaden für den Staat entstanden ist.
Wo steht das? :fragezeichen:

Deine Interpretation des Paragraphen steht im Gegensatz zu dem, was im Gesetz geschrieben steht. Wenn Du meinst, die Regierung wäre an einer Strafverfolgung wegen "Majestätsbeleidigung" interessiert, wenn dadurch außenpolitischer Schaden für den Staat entstanden ist, dann hätte man den Paragraphen 104a ganz anders formulieren müssen, nämlich mit einem Anzeigerecht der Regierung. Im Gegensatz dazu wurde der Regierung ausschließlich das Recht eingeräumt, eine Anklage frühzeitig zu stoppen!

Die Konstruktion des Paragraphen bleibt dubios. Nach dem, was ich bisher gelesen habe, waren ziemlich niedere Motive der Grund, warum er 1953 wieder eingeführt wurde (die Bestimmung besteht seit 1871, wurde aber nach 1945 von Seiten der Alliierten suspendiert). Der damalige Bundeskanzler Adenauer wollte verhindern, dass kritische Artikel gegen den Schah geschrieben werden. Dass die Regierung einer Verfolgung zustimmen muss, hat MMN allein damit zu tun, dass Adenauer sich quasi aussuchen wollte, wer jetzt genau gegen deutsche Journalisten bzw. Künstler vorgehen darf. Das war in der Zeit des Kalten Krieges verständlich - dass bspw. ein sowjetischer Staats- und Parteichef wegen Majestätsbeleidigung klagt, wollte man wohl frühzeitig verhindern.

Selbst wenn Deine Interpretation stimmen würde und Du daraus folgerst, dass man das Begehren der Türkei ablehnen hätte müssen, weil wegen Böhmermann kein außenpolitischer Schaden entsteht: In welchen Fällen würde denn DMN ein solcher Schaden drohen?
Ich meine, allein schon durch die Tatsache, dass eine Regierung - mit der diplomatische Beziehungen bestehen - eine Anzeige einbringt (und das ist ja Voraussetzung!), ist die Gefahr eines außenpolitischen Schadens gegeben. Folgt man also Deiner Meinung, müsste die Regierung jede Anzeige nach § 103 an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.

So oder so, der § 104a ist wegen Durchbrechung der Gewaltenteilung und damit Öffnung des Strafrechts für Willkürakte der Regierung sehr bedenklich, was aber wurscht ist, weil schon der § 103 nicht mehr in unsere Zeit passt.
 
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