Das Recht auf Leben ist aber kein absolutes Menschenrecht...
Da ist eine Korrektur nötig: Das Recht auf Leben gem Art 2 EMRK gilt absolut. Die absolute Gültigkeit bedeutet, dass auch nationale Gesetze (selbst solche im Verfassungsrang) dieses Recht nicht über jene Ausnahmen hinaus einschränken dürfen, die im Art 2 bereits normiert wurden (Tötung bei einer "erforderlichen Gewaltanwendung"). Das Recht ist auch bei einem Notstand nicht widerrufbar, außer für Todesfälle als Folge eines rechtmäßigen Kriegs.
Grundsätzlich kann sich allerdings jeder Staat formal ganz einfach dieser Verpflichtung entziehen, indem er aus den diversen Menschenrechts-Konventionen austritt (dann aber wegen der Charta der Grundrechte notwendigerweise z.B. auch aus der EU). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Regierung dann nach Belieben morden kann: Das Recht auf Leben gilt als ius cogens (verbindliches Völkerrecht) und Mitglieder einer Regierung, die Massenmord betreibt, könnten sich im Verlauf ihres späteren Lebens zu ihrem großen Erstaunen als Angeklagte vor einem internationalem Tribunal finden; spätestens dann, wenn sie abgesetzt worden sind (Beispiel Omar al Bashir: die neue Regierung hat zugesagt, ihn im Anschluss an die innerstaatlichen Strafverfahren an den internationalen Strafgerichtshof auszuliefern.)
Im Unterschied dazu ist z.B. das Recht auf Privatleben und auf eine private Wohnung nicht absolut (Art. 8 EMRK). Der Artikel selbst lässt zu, dass dieses Recht durch nationale Gesetze eingeschränkt werden kann, weswegen in jedem Land das Schutzniveau unter diesem Artikel ein anderes ist. Es wäre also z.B. keine Nazi-Methode, wenn der Gesetzgeber Zwangstests auf Covid-19 anordnen sollte, sondern eine verfassungskonforme legitime Maßnahme.
Dieser Unterschied zwischen Menschenrechten hat auch für die aktuelle Pandemie Auswirkungen: Rund 1/5 der Bevölkerung ist 65 Jahre oder älter und im Fall einer Infektion mit Covid-19 beträgt in dieser Altersgruppe das Risiko zu sterben rund 10%. Der Staat hat daher die Verpflichtung, das Recht auf Leben dieser Bevölkerungsgruppe zu schützen. Dies kann Eingriffe in andere Grund- und Menschen-Rechte erforderlich machen. Umgekehrt erlaubt es die Wahrung der anderen Rechte nicht, Abstriche beim Recht auf Leben hinzunehmen. Wenn also zum Schutz des Lebens Zwangsmaßnahmen erforderlich sind (Beispiele: Freiheitsbeschränkungen, Zwangstests, Vermögensnachteile), so kann zwar jeder Betroffene im Nachhinein dagegen klagen, die Aussichten auf Erfolg sind aber gering, wenn die Zwangsmaßnahmen sorgfältig vorbereitet und implementiert werden.