Also: von der Verfassung her, ja, sicher ist er Oberbefehlshaber des Österreichischen Bundesheeres und kann das Parlament auflösen und Neuwahlen veranlassen und eine Regierung nicht angeloben usw., aber in der Praxis ist das Amt auf die 2 Ansprachen im Jahr und diverse Festakte und Staatsbesuche zusammengschrumpft.
Das stimmt natürlich zum Teil, dennoch gibt es praktisch kein Mittel, wenn einmal ein Bundespräsident seine verfassungsmäßigen Rechte ausschöpft. Dort liegt der Hund begraben.
Dazu müssen wir uns daran erinnern, dass die in Gebrauch stehende Verfassung im Jahr 1920 entstanden ist, also zu einem Zeitpunkt, wo die Demokratie noch in den Kinderschuhen gesteckt ist, und die dem Bundespräsidenten zugesprochenen Rechte sind unter anderem ja auch Ausdruck des Misstrauens, welches der jungen Demokratie entgegengebracht wurde. Hier hat man ein Regulativ geschaffen und mit der entsprechenden Macht ausgestattet, unter Umständen auch auf legalem Weg gegen demokratische Entscheidungen handeln zu können.
Geholfen hat es freilich wenig, denn die beiden Male, als ein Eingreifen des Bundespräsidenten nicht nur wünschenswert sondern sogar im Staatsinteresse notwendig gewesen wäre, haben die damaligen Amtsträger weder das politische Interesse noch offenbar den Mut zum Handeln gefunden. Wäre interessant zu wissen, wie die Wege der Geschichte verlaufen wären, hätte zum Beispiel der damalige Bundespräsident die Ausschaltung des Parlaments durch Auflösung desselben unterlaufen und auf Neuwahlen gedrängt. Oder 1938, wenn der damalige Präsident die Ankündigung "Wir weichen der Gewalt" des damaligen Kanzlers Schuschnigg nicht akzeptiert und ebenfalls mit der Auflösung des Parlaments und Neuwahlen reagiert hätte.
Gewiss - ein Gedankenexperiment. Wahrscheinlich wäre die Auswirkung auf das Geschehen in beiden Fällen minimal gewesen. Aber es wäre jedenfalls ein Zeichen gewesen, dass auch von höchster politischer Ebene nicht alles gut geheißen wurde, was damals geschah.
In der zweiten Republik wurden die Rechte des Bundespräsidenten wohl konsensual freiwillig eingeschränkt, blieben aber auf dem Papier der Verfassung stehen und gelten somit uneingeschränkt.
Bundespräsident Klestil hat bei der Angelobung der Regierung Schüssel ja durch sein aufgesetztes Gesicht zu verstehen gegeben, dass er der Regierung, die er da angelobt, ned wirklich vertraut. Und hat die Angelobung aber trotzdem vorgenommen, obwohl er damit im Grunde genommen gegen die Verfassung verstoßen hat. Denn die Verfassung verpflichtet den Bundespräsidenten nicht zur Angelobung einer Regierung, wenn sie nicht sein Vertrauen genießt, eher das Gegenteil.
Wenn man also der Meinung ist, dass das derzeitige Amtsprofil des Bundespräsidenten nicht mehr zeitgemäß ist, dann wäre es eine dankbare Aufgabe für unsere Verfassungsjuristen, die Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten neu zu definieren. Und dies wäre allemal sinnvoller, als über den blumigen Neujahrsansprachen zu vergessen, welche Macht unsere Präsidenten wirklich haben.