Wenn du das schon wild und heftig findest, hast mich noch nicht ernsthaft sauer erlebt.
Inwieweit erhellt ein einzelner Beitrag überhaupt wen? Diskussionen sind lediglich eine Sammlung verschiedener Aspekte zu Themen, und ich denke, es ist ziemlich überflüssig, wenn so diskutiert wird, als befänden sich die einzelnen Teilnehmer in einem Porzellantellerchen, in dem sie eifrig rummarschieren, der Außenwelt erklären wollen, daß die Welt weiß, glatt und überschaubar ist und meinen, daß diejenigen, die außerhalb rummarschieren, wären einfach Ahnungslose, die vom Marschieren keine Ahnung hätten, weil sie das Gehen auf glattem weißen Untergrund nicht kennen.
Nochmal zusammengefaßt: Vilars Buch wurde eingangs erwähnt, Titel des Threads: "Frauen verachten Männer, die zu Prostituierten gehen", erste Reaktionen: "Quatsch, is wurscht, haben keine Ahnung". Ich kenne das Buch nicht, hab nur mal die Inhaltsangabe gelesen und es würde mich nicht erstaunen, wenn ihre Argumentation in eine ähnliche Richtung geht wie meine.
Erstens: daß viele Frauen Männer verachten, die zu SWs gehen, ist Fakt. Unterhalte dich mit ihnen im Alltag, in Weiberrunden, beim Kegelabend, in Kneipen oder Cafés, im Pausenraum der Betriebe, im Friseursalon. Daß Verachtung viel mit Angst und Unverständnis zu tun hat, ist klar - einerseits.
Daß Verachtung sich sehr stark auch aus den eigenen Wertvorstellungen widersprechendem Verhalten ergibt, dürfte auch klar sein, besonders wenn dieses Verhalten mit Verlustängsten und anderen unangenehmen Gefühlen so eng verknüpft ist, wie das bei sexuelle Aktivitäten eines potentiellen Partners außerhalb der Beziehung der Fall ist. Klein bissl
Lektüre, um ins Gedächtnis zu rufen, worüber wir überhaupt reden). Nur ein kleiner Satz daraus: "Respekt impliziert nicht notwendigerweise Achtung, aber eine respektvolle Haltung schließt bedenkenloses egoistisches Verhalten aus."
Meine Verachtung bezieht sich u.a. aus dem respektlosen Verhalten von Männern (beachte: Plural, es ist müßig, sich als Einzelmann wie'n pawlowsches Hunderl sofort aufmanndln und erklären zu wollen, warum man grad einer von den "Guten" ist, darum geht's hier nämlich nicht) gegenüber Frauen generell. Lies dir spaßeshalber mal die Unterforen gerade im gewerblichen Teil durch. lies außerdem just for fun paar Überschriften in den Rubriken Sextalk, Fetisch/BDSM durch und guck, wie grenzüberschreitend bereits in Titeln von Ficklöchern, Ehehuren usw. gequasselt wird. Ausdruck individueller Vorlieben - einerseits. Die sind legitim. Ausdruck aber auch, wie das Empfinden der eigenen Lust als Maßstab für den Umgang miteinander generell gehandhabt wird. Wenn in einem öffentlichen Raum so agiert wird, ist das zutiefst respektlos gegenüber Frauen allgemein, und Respektlosigkeit bringt nicht unbedingt "Achtung" als Reaktion ein, ne?
Was hat das jetzt mit dem Thema an sich zu tun? Folgendes: so wie Männer, die sich seit Emanzipationszeiten untergebuttert fühlen, gerne Frauen aus Asien, Russland oder woher auch immer importieren (oft ohne Ahnung, daß deren Kultur vielleicht liebliche Unterwerfung unter die "natürliche Herrschaft" des Mannes vorgaukelt, ihr Import indessen völlig andere Wertvorstellungen hat und ihre Rechnung damit schlicht nicht aufgeht - die Gearschten sind dann oft wieder die importierten Frauen, wenn sie noch keine eigene Aufenthaltserlaubnis hat und im Trennungsfall allein im fremden Land steht und schauen kann, wo sie bleibt) - das als überspitztes Beispiel sehen, bitte - ich brauche nicht jeden, der keine Frau importiert hat, als Gegenbeispiel aufgelistet hier lesen
- so neigen Männer dazu, ihre Probleme ganz pragmatisch auf dem leichtesten Weg zu lösen. Ehefrau will keinen Sex - zahlma halt eine. Ehefrau will Probleme besprechen - geh ich halt aus'm Haus, im Beisl einen saufen und bei der Hur ficken. Wieder platt verallgemeinert formuliert - die zwei Ausnahmen, die das jetzt lesen, müssen sich nicht bemüßigt fühlen, sich kenntlich zu machen.
Will damit sagen: so wie Frauen bis in den hintersten Winkel ihres komplizierten Denk- und Fühlapparats jedes noch so kleine Detail durchkauen, "lösen" und in Beziehung zu ihrem Partner klären wollen (hält keine Sau aus, ich auch nicht, und nein: ich bin dabei kein Stück besser
) wollen Männer allenfalls: Problem erkennen, Problem lösen, fertig. Das geht bei Paysex - was den zwischenmenschlichen Bereich angeht - am einfachsten. Sich aber mit ihren Partnerinnen auseinandersetzen, wenn Kinder zahnen, in der Schule den Lehrer mit Stinkbomben bewerfen und Frauli Zwischenblutungen hat und keinen Bock auf Sex zwischen Abendessen und Fußballübertragung - das ist zu viel. Klar ist das Ausweichen auf SW einfacher, da muß mann nicht reden (tut er trotzdem, diese Lusche, weil eine SW ihm's Kopfi streichelt, ihn für seine mittelmäßige Potenzleistung als geilen Stier lobt und ihm nicht aufträgt, beim Gehen den Müll mit runter zu nehmen) - daß diese Art Ausweichverhalten bei Frauen Verachtung auslöst (neben Selbstzweifeln, Kummer, Verlustängsten und handfesten wirtschaftlichen Ängsten noch dazu, wenn sie grad hauptberuflich die Schratzen am Hals hat) dürfte kein großes Erstaunen auslösen.
Weiter (wird scho wieder zu lang...): wenn es heißt "Frauen verachten Männer, weil..." dann heißt das NICHT, daß Frauen die besseren Menschen sind (sind sie nicht) oder daß Männer generell Pfeifen sind (ist nur jeder zweite
) - es ist also müßig, Argumente von wegen "die Frauen tun aber doch auch im Afrikaurlaub Händchenhalten, bevor sie ihren langschwänzigen Kasperl ins dürre Gestrüpp ziehen" - das ist hier nicht das Thema.
Sondern (wieder ausgehend vom Klappentext zu Vilars Buch): Verachtung entsteht, wenn eine Gruppe von Menschen sich von den eigenen Wertmaßstäben / Vorstellungen abweichend verhält (sehen wir sehr unschön im Zusammenhang mit Diskussionen über Ausländer im eigenen Land). Das sagt noch nichts darüber aus, inwieweit diese eigenen Wertmaßstäbe überhaupt sinnvoll, klug oder allgemeingültig sein können. Und genau da liegt m.E. der Knackpunkt.
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem rasanten Wandel, es ist noch nicht so lange her, da wurden Zimmer an nichtverheiratete Paare nicht so einfach vermietet und eine alleinstehende Frau konnte aus ihrer Wohnung gekündigt werden, wenn sie Männerbesuch nach 22 Uhr hatte. Es ist noch nicht so lange her, da waren geschiedene Frauen "anrüchig" und Frauen, die trotz Kinder arbeiten ging, kam leicht in den Verdacht, eine egoistische Rabenmutter zu sein.
Was hat das mit dem Thema zu tun? Also: wir haben unsere Wertvorstellungen, je nach kulturellem Hintergrund, Zeit, in der wir aufgewachsen sind, gesellschaftlichem Background usw. usf. Logisch? Ganz besonders - und das, meine ich, wird zu gerne ausgeblendet in unseren aufgeschlossenen Zeiten - haben wir geschlechtsspezifisch ganz unterschiedliche Wertmaßstäbe. Natürlich verwischt sich das, sind Übergänge fließend, aber diese verinnerlichten Wertvorstellungen haben mit den äußeren Veränderungen in der Gesellschaft nicht mitgehalten. Können sie nicht, eine Änderung der eigenen Wertmaßstäbe KANN nicht beliebig den äußeren Gegebenheiten angepaßt werden, dazu gehört zunächst nämlich auch das Hinterfragen dieser Vorstellungen. So wie eine im Islam verwurzelte Muslima nicht einfach ihr Kopftuch ablegen und sich "befreit" fühlen kann, weil sie plötzlich in Deutschland, Österreich oder USA lebt (im Gegenteil, sie würde sich dadurch allenfalls nackert und bedroht fühlen) so wenig können wir unsere Überzeugungen ablegen.
Beispielsweise in Sachen Beziehung/Ehe und der Vorstellung von sexueller Treue. Beispielsweise in Sachen eigene Rolle als Frau, die ich in dieser Gesellschaft innehabe. Beispielsweise in Sachen Akzeptanz, daß Frauen ein völlig anderes Bild von Zuverlässigkeit, sexueller Erfüllung, Verbindlichkeit und familiären Idealen haben als Männer. Beispielsweise, daß viele wechselnde Sexpartner trotz aufgeschlossener Zeiten und vordergründig doch so toleranter Gesellschaft nach wie vor für Frauen leicht anrüchig, für Männer aber den potenten Zwölfenderruf mit sich bringen.
Ließe sich endlos fortführen.
So, worüber reden wir jetzt? Über Männer, die zu Prostituierten gehen, über meine Feststellung, daß ich Männer tatsächlich verachte, die das tun (huh - wie schrecklich. Ich bin sicher, die gesamte Männerschar wird sich schwertun, mit diesem Wissen, daß Fritzie sowas verachtet, weiterzuleben
- ned wirklich, oder?) oder darüber, was die Gründe für diese Verachtung sein könnten und ob der Umgang mit dem Thema mit dem simplen Hin- und Herschieben von "Höhö, du bist noch viel dööfer als ich"-Gehabe auf Sandkastenniveau wirklich Sinn macht.