lieber plastic,
wenn du mir jetzt erklärst, dass die schweiz aufgrund eines proporzsystems undemokratisch ist, dann muss ich dir unterstellen, dass du keine ahnung hast, wie das schweizer system funktioniert. selbst wenn die schweiz ein undemokratisches land wäre, dann wäre es außerdem noch immer eine äußerst kurzsichtige unterstellung, zu behaupten, dass ich wenig ahnung von demokratie habe. ich unterstelle ja auch keinem öterreicher, dass er nicht wisse, was demokratie ist.
ich weiß auch, dass es kein undemokratischer vorgang war, dass die fpö und die övp als zweit und drittstärkste partei eine regierung gebildet haben, wie oft muss ich das denn hier noch wiederholen?
wenn du aber schon darauf hinauswillst, dass österreich ein angeblich so demokratisches system hat, dann will ich dir mal ein paar elemente aufzeigen, die eben ausmachen, dass ich österreich als undemokratisch bezeichne.
- clubzwang (auch wenn es ihn de jure nicht gibt, so gibt es ihn de facto. die abgeordneten sind in höchstem masse abhängig von ihrer partei und haben kaum eine möglichkeit ihr mandat frei auszuüben - sprich: sie sind nicht dem wähler, sondern ihrer partei verpflichtet)
- abhängigkeit der justiz von der politik (sowohl staatsanwälte wie auch richter werden von der politik immer wieder instrumentalisiert. sei es um weitere ermittlungen einzuschränken -> einzeltätertheorien oder abzuklemmen -> weisungsgebundenheit der staatsanwälte, sei es um bestimmte urteile zu erwirken -> siehe zb operation spring)
- de facto machtlosigkeit der zweiten kammer (der bundesrat hat keine möglichkeit ein im nationalrat beschlossenes gesetz zu verhindern, sondern hat rein aufschiebende wirkung)
- kandidaten bei wahlen, die gar nicht fürs amt zur verfügung stehen (seien es hc strache, der wohl kaum jemals wirklich beabsichtigt hat in den wiener gemeinderat einzuziehen, seien es minister, die nie wirklich im sinn hatten, im nationalrat zu sitzen, treten immer wieder kandidaten zur wahl an, die nur ihren bekanntheitsgrad ausnutzen um wählerstimmen zu sammeln ohne dann jemals das amt anzutreten)
- gehört auch zum obigen punkt: austauschrecht von abgeordneten durch die parteien, was zur folge hat, dass ungebliebte abgeordnete schnell abgeschoben werden können und diese mit dem de facto clubzwang bedroht werden
- ein flickwerk von verfassung (insbesondere - aber nicht nur - entstanden zu zeiten der 2/3 mehrheit von rot-schwarz wurde jedes gesetz, das verfassungswidrig hätte sein können einfach in den verfassungsrang erhoben um so den verfassungsgerichtshof zu umgehen)
-parlamentarische untersuchungsausschüsse werden bei bedarf einfach abgedreht - wer dort vorgeladen werden darf und wer nicht, bestimmt die parlamentsmehrheit - sprich die regierung
- eine de facto nicht vorhandene trennung zwischen exekutive (regierung) und legislative (parlament) (das parlement wie die regierung macht, was die parteienspitze der regierungsparteien sagen die kontrollfunktion des parlaments ist ad absurdum geführt)
hinzu kommt dann im gegensatz zur schweiz keine möglichkeit der mitbestimmung - ich werde in kurzen stichworten mal drauf eingehen warum die schweiz demokratischer ist als österreich:
1. wahlsystem: es werden personen gewählt und nicht parteien - die abgeordneten sind nicht austauschbar, sondern es kann nur und ausschließlich derjenige nachrücken, der bei der wahl das nächstbeste resultat erzielt hat, im ständerat - der kleinen kammer (die eben auch gewählt und nicht beschickt wird!) kommt es bei rücktritt oder tot des abgeordneten zu einer ersatzwahl. -> unabhängigkeit der legislative. ps gesetze müssen beide kammern erfolgreich passieren, um gültigkeit zu erlangen
2. unabhängigkeit der justiz: staatsanwälte sind nicht weisungsgebunden
3. unabhängigkeit der exekutive: die einzelnen minister werden vom parlament auf vier jahre gewählt und sind dann für diese vier jahre "unabwählbar" es kann höchstens zu einem rücktritt kommen, jedoch besteht durch diese vierjährige amtsdauer eine gewisse unabhängigkeit vom parlament und somit auch von der partei
4. mitbestimmungsrecht: in der schweiz kann man mit 100 000 unterschriften eine abstimmung erzwingen (initiativrecht), mit 50 000 ein im parlament beschlossenes gesetz zur abstimmung gebracht werden (referendumsrecht) sowohl das durchführen der abstimmung wie auch das resultat sind zwingend (in österreich erreicht man mit 100 000 unterschriften dass das parlament die frage behandeln muss und das wars)
5. eine parlamentarische untersuchungskommission untersucht, bis sie herausgefunden hat, was herauszufinden war und nicht, bis die parlamentsmehrheit glaubt, dass jetzt dann bald zu viel ans tageslicht kommen könnte.
dann wäre da noch der hinweis auf die mediensituation hinzuweisen, die in österreich doch sehr speziell ist (privatradio erlaubt seit 1998! privates terrestrisches fernsehen erlaubt seit 2001 existent seit 2003) und sowohl gesetzlich wie auch politisch (kronenzeitung!) eine demokratiepolitisch fragwürdige ist.
aber ich bin es mir - als schweizer - gewohnt, dass viele österreicher diese tatsachen verdrängen, oder aber nicht verstehen, was daran so undemokratisch sein soll.