Hallo,
mit der Borderline-Störung kenne ich mich zwar nicht so gut aus, aber ich habe zwei sehr gute Freundinnen, die an bipolarer Störung leiden, und ich denke, dass die Probleme, die sich im Zusammenleben ergeben, hier relativ ähnlich gelagert sind. Mit einer dieser Freundinnen (die einen leichten Hang zu Borderline hat) kam es mal fast zu einer Beziehung (im Endeffekt war die ganze Geschichte ein dramatisches Missverständnis), was uns aber auf einer freundschaftlichen Ebene im Nachhinein sehr fest zusammengeschweißt hat, sodass ich da nun relativ viel mitbekomme, was ihren aktuellen Zustand betrifft. Da kann's schon mal passieren, dass man am späten Abend quer durch die Stadt fährt um seelische Erstversorgung zu leisten und danach Überzeugungsarbeit, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, den psychologischen Notdienst anzurufen. Oder dass man mal ein paar Stunden bei ihr im Zimmer sitzt und sie versucht, aufzurichten, weil ihr gerade alles, das Leben und die Welt, zu viel geworden sind. Kurz: Es kostet Kraft. Schon als guter Freund, als Beziehungspartner aber wohl noch viel mehr. Darauf müsstest du dich einstellen.
Wenn du ein Mensch bist, der solche Situationen gut wegstecken kann, dh nicht allzu sehr an sich selbst ranlassen, und dir der Mann viel bedeutet, dann käme es wohl auf einen Versuch an. Aber du musst damit rechnen, an vielen Tagen weniger der Beziehungspartner zu sein, sondern ein Prellbock, eine Art psychologische Krankenschwester vielleicht. Und das ist beileibe nicht einfach. Aber auch nicht unmöglich. Viel hängt von dir selbst ab. Dass sich der potentielle Partner dramatisch ändert durch dein Zutun, diesen Gedanken hingegen kannst du vergessen. Gedanklich solltest du dich darauf einstellen, dass der aktuelle Status Quo der Erkrankung auch der künftige Zustand sein wird, dass nichts besser wird oder wenn überhaupt, nur sehr langsam. Und dass es auch Phasen geben wird, in denen es noch schlimmer wird. Das ist das Tückische an psychischen Erkrankungen. Man kann sie meistens kontrollieren, aber nicht immer, und sie schlagen auch immer wieder überraschend aus. Das wird das ganze Leben so bleiben - mit Glück hat man viele gute Jahre, aber die Erkrankung kann dennoch jederzeit wieder auftauchen und das mit aller Vehemenz.
Einen Ratschlag kann und will ich dir nicht geben. Selbst wenn ich dich und ihn persönlich kennen würde, wäre ich damit extrem zurückhaltend. Ich kann nur meine eigenen Erfahrungen schildern (die sich natürlich auf bipolare Störung erstrecken, weniger auf Borderline - da sind dann die Schwierigkeiten ein wenig anders gelagert, aber sicherlich vom persönlichen Einsatz her, den man leisten muss, vergleichbar), aber ich würde mir nicht anmaßen, mich da einzumischen. Am Ende müsst ihr beide wissen, was ihr wollt, und du musst abschätzen, ob du die Kraft aufbringen kannst (und möchtest), die für eine Beziehung sicherlich erforderlich ist.
Liebe Grüße
Einer von denen