Unveröffentlichtes Editorial (Vorbemerkung und Einführung) von Peter Lhotzky zur ursprünglich geplanten umfangreicheren Ausgabe von "Der Führer bin ich selbst" Engelbert Dollfuß Benito Mussolini Briefwechsel
Vorbemerkung und Einführung
Aus gegebenem Anlass fühlen wir uns verpflichtet, die im Anhang als Nachdruck nunmehr wieder zur Verfügung stehende Arbeit aus dem Jahr 1949 neu aufzulegen.
In letzter Zeit mehren sich die Zeichen, dass eine von Historikern eher nur marginal berührte Geschichte unserer Heimat so dargeboten werden soll, dass die mahnenden Worte der "großen alten Dame" der Sozialdemokratie, Rosa Jochmann, Wirklichkeit zu werden drohen. Als Zeitzeugin war Rosa Jochmann immer wieder in Schulen gegangen um über ihre Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern, aber auch in den Anhaltelagern und Polizeigefangenenhäusern des autoritären Ständestaates zu berichten. Sie Rosa Jochmann stellte bei einem ihrer vielen Gespräche mit Schülerinnen und Schülern fest: "Hüten wir uns vor der Zeit, in welcher die Häscher von damals zu Gejagten und die Ermordeten zu Mördern gemacht werden!" Und, setzte sie fort: "Deshalb gehe ich zu den jungen Menschen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit uns
über die Zeit beider in Österreich etablierter Faschismen zu reden, davon zu erfahren, was es geheißen hat, anderer Meinung zu sein als die Regierenden. Mitglied der Sozialdemokratie zu sein bedeutete oft Verlust des Arbeitsplatzes, der Lebensgrundlage und manchmal auch den Verlust des Lebens.
Liegt über die Zeit des Nazifaschismus ein umfangreiches Werk vor, so ist das über die Zeit des Austrofaschismus nicht im selben Umfang der Fall.
Zwar ist in den ersten Jahren der sozialistischen Alleinregierung unter Bruno Kreisky eine "Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938" (später dann erweitert auf die Jahre 1918-1938) eingerichtet worden, aber es war gar nicht so leicht, diese neuen Disziplinen an Österreichs Universitäten zu etablieren.
Eine ganze Reihe von jungen, angehenden Historikern fand sich, um über die eigene Landesgeschichte mehr zu erfahren. Nach den Wurzeln zu suchen. Zeigten sich doch damals noch die Nachwirkungen der "68er". War es die Zeit, wo junge Menschen Fragen stellten. "Was habt ihr damals in der Zeit von 1933 bis 1938 gemacht?" Die Ausstellungen in der Koppreiter-Remise, vom 23. Jänner 1981 bis 30. August 1981 geplant aber dann verlängert, die den Titel "Mit uns zieht die neue Zeit" trug, und die ab 12. Februar 1984 folgende Ausstellung "Die Kälte des Februar" zogen eine Reihe von jungen Menschen an. Bei beiden Ausstellungen kam es zu interessanten Gesprächen zwischen Zeitzeugen und Nachgeborenen. Oft auch zu politisch-ideologischen Konfrontationen. Doch je mehr sich der Wohlstand entwickelte, desto mehr schwand auch das Interesse, das Feuer der jungen Menschen. Als dann 1988 die Ausstellung "Die ersten 100 Jahre" gestaltet wurde, waren für die, welche es fühlen wollten, die Anzeichen des Niederganges einer Ära bemerkbar.
Es zeigten sich die ersten Versuche, Engelbert Dollfuß zum "ersten Opfer des Nazifaschismus" hochzustilisieren. Als im Jahr 1984 Erwin Ringels "Die österreichische Seele" erschien, konnten wir in seiner neuen Rede über Österreich das was er in einem kleinen Kreis ausgesprochen hat, schwarz auf weiß nachlesen. Ringel führte damals unter anderem aus:
"
Ich aber will jetzt über einen anderen sprechen, der für die einen Baumeister, für die anderen aber der Totengräber ist: Engelbert Dollfuß
Denn, das muß mit aller Deutlichkeit und auch Schärfe gesagt werden, das Bild dieses Mannes ist verbunden mit mehr als tragischen Ereignissen: Er hat die Demokratie in Österreich zerstört, hat mit Kanonen auf Arbeiterhäuser schießen lassen, ist zum Arbeitermörder geworden
"
(anmerkung: allerdings sollte auch nicht unterschlagen werden, dass der republikanische schutzbund auch bis an die zähne bewaffnet war... )
Kaum zwei Dezennien später lädt der nunmehr 1. Präsident des Nationalrates, Andreas Khol, zu einer Buchpräsentation ein. Der sattsam bekannte Dr. Gottfried-Karl Kindermann stellt sein Buch "Österreich gegen Hitler Europas erste Abwehrfront 1933-1938" vor.
Warum es sich lohnt, den "Geheimen Briefwechsel zwischen Mussolini und Dollfuß" als Nachdruck neu aufzulegen, soll in den folgenden Zeilen dargestellt werden.
Schon im Jahr 1948 hat der US-amerikanische Historiker Charles A. Gulick in seinem fünfbändigen Werk "Österreich von Habsburg zu Hitler" folgende Ausführungen an den Schluss seines Werkes gestellt.
"
Fünf Jahre sind seit der Befreiung Österreichs verstrichen, aber noch immer befindet sich das erste Opfer der nationalsozialistischen Aggressionspolitik in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage. Verschiedene radikalistische Strömungen machen sich da und dort bemerkbar, und eine fälschlich bezeichnete 'Volkspartei' hat sattsam bekannte Antidemokraten zu ihren Vertretern im Nationalrat nominiert. Man kann nur hoffen, dass die gerechtfertigte Angst vor den Plänen Russlands nicht noch einmal zur Untergrabung der Demokratie und Vernichtung auch der Zweiten Republik durch den Kleriko-Faschismus führen wird.
"
Als diese Worte niedergeschrieben wurden, wollten und konnten nur wenige diese Warnung verstehen. Es war die Zeit des nicht mehr beginnenden, sondern sich bereits in den Köpfen der Menschen verfestigenden "Kalten Krieges", der siehe Korea bald in einen "heißen" umzuschlagen drohte.
Aber wollen wir die Probe aufs Exempel machen. Im Grundsatzprogramm der ÖVP aus dem Jahre 1947, welches den bezeichnenden Titel trägt: "Wir wollen Österreich", verfasst von Dr. Alfred Kasamas, finden wir auf Seite 32 f folgende Feststellungen:
"
Wenn von den Linksparteien seit Kriegsende immer wieder die Behauptung aufgestellt wird, der autoritäre Kurs in den Jahren 1933 bis 1938 hätte dem Nationalsozialismus in Österreich Vorspanndienste geleistet und 'ohne Schuschnigg wäre kein Seyß-Inquart möglich gewesen', so ist dies eine große Ungerechtigkeit gegenüber den Männern, die fünf Jahre lang dem übermächtigen Druck des Dritten Reiches standgehalten haben."
Denken wir daran, dass Leute wie der Schieber und Spekulant Franz Georg Strafella, der Heimwehrführer Ulrich Ilg, der Führer des Freikorps "Oberland" Ludwig Draxler und andere mehr bis in die siebziger Jahre der Zweiten Republik entweder im Parlament oder führenden Wirtschaftsfunktionen tätig waren.
Der aus dem britischen Exil zurückgekehrte Karl Czernetz, er sollte später als der "Chefideologe" der Partei bezeichnet werden, widmete viele Artikel und Broschüren dem Thema "Kalter Krieg". Hat er doch schon im englischen Exil seine Auseinandersetzungen mit der dortigen Exilorganisation geführt. Bruno Kreisky bezeichnete "Thomas" so sein Name in der Illegalität als "den vielleicht besten Schüler Otto Bauers". Czernetz, später dann auch Stella Klein-Löw prägten die Bildungspolitik der Partei ab 1945. Als Ernst Winkler aus dem skandinavischen Exil zurückkehrte versuchte er, neben seiner Kompetenz, die er in den Fragen der Landwirtschaft besaß, eine Renaissance des Werkes Otto Bauers einzuleiten. Vergebens. Natürlich gab es auch, durch die Zeit des Austrofaschismus zwar verdrängt, aber immer noch vorhanden, persönliche Animositäten und Gegnerschaften. Otto Bauer hat das in seiner letzten Arbeit "Die illegale Partei" folgendermaßen beschrieben:
"Die außerhalb des illegalen Kaders stehenden 'alten Sozialdemokraten' haben den Illegalen diese Geringschätzung vergolten. Sie meinen: die alten Vertrauensmänner der Partei und der Gewerkschaft kämen ja ohnehin regelmäßig zusammen und pflegten ohnehin die Beziehungen zu den früheren Mitgliedern ihrer Organisationen. Irgendwann, irgendwie werden sich die Massen doch wieder zu regen beginnen; wenn es aber erst wieder 'losgeht', dann werde die alte Partei mit einem Schlag wieder da sein. Nicht die kleine Schar der Illegalen, die doch höchstens 'radikale' Parolen auszugeben und ein paar Flugblätter oder Zeitungen zu verbreiten vermöge, sondern die alten, erfahrenen Vertrauensmänner der Partei und der Gewerkschaften, die durch unzählige persönliche Beziehungen mit den Massen verbunden seien, würden dann die Arbeiterklasse führen. Wir werden sehen, wie die tatsächliche Entwicklung der illegalen Parteien diese Auffassungen auf beiden Seiten berichtigt.
Diese Massen beugen sich äußerlich dem Druck des Faschismus. Sie gehörten faschistischen Organisationen an und marschieren mit , wenn der Faschismus die Unterworfenen zu seinen Kundgebungen auf die Straße treibt
. Aber sie tun es widerwillig und die Erpressung vergrößert nur ihren Hass gegen den Faschismus. Sie wagen es nicht, an dem illegalen Kampfe teilzunehmen. Aber sie hoffen, die Zeit werde wiederkommen, in der sie wieder würden die Sache des Sozialismus kämpfen können, ohne die Gefahren einer illegalen Aktion auf sich zu nehmen. Die Propaganda des Faschismus bleibt nicht ganz ohne Einfluss auf ihr Denken und auf ihre Ausdrucksweise; da und dort verknüpfen sich ihre alten sozialdemokratischen Gedanken mit Fetzen faschistischer Ideologie und Phraseologie . Aber im Wesenskern bleiben sie doch 'die Alten'."
Und wir müssen das auch in der vorliegenden Broschüre feststellen, wie sehr diese Grabenkämpfe weiterwirken.
Sicher waren die Bedingungen nach der militärischen Niederlage des Faschismus andere als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Die damals neu entstandene Ordnung, vor allem die Errichtung der Sowjetunion auf revolutionärem Wege. Das Scheitern der Münchner, bayerischen und ungarischen Räterepublik, die unglückselige Spaltung der Parteien der Arbeiterklasse, der mörderische Bruderkampf vor allem in Deutschland, aber auch in Italien, begünstigte den Aufstieg des Faschismus.
Wenn Adolf Schärf 1949 zu Recht vermerkt: "
dass eine Regierungspartei nach 10- oder 12-jähriger Regierung eine Niederlage erleidet, ist nichts Ungewöhnliches; dass aber die Sozialdemokratie die stärkste Partei geworden und die Christlichsozialen hinter ihr nur die zweite Rolle spielen sollten, das war den Christlichsozialen unerträglich;
" (Seite 12), sollte Karl Czernetz 1971 in der Zeitschrift "Zukunft" ähnlich argumentieren. Er schreibt:
"
Die ÖVP hat die schwerste Niederlage ihrer Geschichte erlitten. Ihre Zukunft liegt im dunkeln. Es handelt sich dabei nicht nur um ihre obligaten Führungskämpfe, um die organisatorische Umgestaltung und um die sogenannte "Profilierung" dieser Partei in der Opposition. Es geht um viel mehr. Es geht um den Charakter der Österreichischen Volkspartei. Die zweitgrößte Partei Österreichs ist in ihrem Wesen nach eine konservativ-kapitalistische Partei, und die maßgebenden Führungsschichten wollen sie als solche erhalten. Kritiker in ihren eigenen Reihen meinen, daß die ÖVP die sozial-fortschrittliche Wandlung der katholischen Kirche bisher nicht mitgemacht hat und sie fordern die "Nachvollziehung" dieses Prozesses. Nur dann könnte die Partei so meinten sie als echte christlich-demokratische Partei angesehen werden, nur dann könnte sie wieder Anziehungskraft gewinnen und aus der "stockkonservativen Ecke" herauskommen, in der sie sich jetzt befindet. Das ist das Dilemma der ÖVP, und nichts deutet darauf hin, daß diese Partei aufhören wird, daß sie aufhören könnte, eine konservativ-kapitalistische Partei zu bleiben".
Hier treffen sich die Argumentationsstränge von Gulick, Schärf und Czernetz. Und doch liegt der Zeitraum einer ganzen Generation dazwischen.
Wie schon das Beispiel Kasamas (siehe oben) beweist, war die nicht "zur Kenntnisnahme historisch bewiesener Tatsachen" bei den Nachfolgern der Christlich-Sozialen zur täglichen politischen Praxis geworden. Vergessen waren die Worte Leopold Kunschaks: "Ich war Antisemit, ich bin Antisemit und ich bleibe Antisemit", und das nach dem offiziellen Bekanntwerden der Massenvernichtungen in Auschwitz, Treblinka und Mauthausen.
Besonderen Auftrieb gab den Historikern vom Schlage eines Kindermann, Heinrich Drimmel usw. aber die Arbeit "Zwischen Reformismus und Bolschewismus, Der Austromarxismus als Theorie und Praxis" von Norbert Leser, die im Jahr 1968 erschienen ist. Meiner Meinung nach bestärkte dieses Werk die These von der "geteilten Schuld" und erst die Ausstellung in der Koppreiter-Remise konnte dem entgegenwirken. Aber dieses Buch richtete auch in den Köpfen von jungen Studenten des Sozialismus Verwirrung an. Haben sich doch die "68er" meist an Herbert Marcuse, Wolfgang Abendroth, Erich Fromm, Jürgen Habermas, Theodor W. Adorno und Ernst Bloch gehalten. Verspätet kamen die Klassiker von Marx über Engels bis Lenin und Trotzki dazu. So war es kein Wunder, dass im Zuge der Eurokommunismus-Debatte auch die Austromarxisten Max Adler und Otto Bauer wieder entdeckt wurden. Vor allem bei den Italienern wurde Bauer im Zusammenhang mit Gramsci und Rosa Luxemburg rezipiert.
Arbeiten, wie die von Ernst Glaser verfasste Studie "Im Umfeld des Austromarxismus", die sich mit der Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus befasste, waren zwar lobenswert, wurden aber außer in dafür "anfälligen" Kreisen wenig beachtet. Ernst Glaser, Jahrgang 1912, der jener Generation angehört, die Otto Bauer als "die Generation der Vollendung" bezeichnete, berichtete auch davon, wie diese Zeit die Menschen, das Proletariat geprägt, herausgefordert und geschult hat.
Manche der ehemals in der Kulturstelle der SDAP tätigen Genossinnen und Genossen finden wir in der SBZ, der "Sozialistischen Bildungszentrale", unter Karl Czernetz wieder. Hier wird noch versucht, nicht nur die Organisationsform der "Alten Partei" unter den neuen, geänderten gesellschaftlichen Bedingungen zu etablieren, sondern auch Inhalte weiterzugeben. Doch viele der "Vorfeldorganisationen" wurden nicht mehr mit aktivem Leben erfüllt. Es gab in Wien keine Arbeiterbüchereien mehr, diese Aufgabe übernahm die Stadtverwaltung. Viele Aufgaben, die in der Ersten Republik die Kunst- und Kulturstelle besorgte, wurde an die Stadt abgegeben. Leute wie Franz Senghofer, Fritz Klenner, Stella Klein-Löw und natürlich Karl Czernetz bemühten sich redlich. Vergessen wir darüberhinaus nicht, dass der Aderlass, den die Sozialdemokratie durch die Vertreibung von Künstlern, Wissenschaftern und Intellektuellen zu verkraften hatte, nicht mehr wett gemacht werden konnte. Auch hatte sich das Klima für Emigranten, die zurückkehren wollten, nicht gerade verbessert. International setzte zum Beispiel in dieser Zeit in den U.S.A. die Ära des "McCarthysmus" ein. Übrigens, die von den Austrofaschisten ausgebürgerte "Pionierin der Sozialforschung" Marie Jahoda, führte in den U.S.A. mehrere Untersuchungen zu diesem Thema durch. Nach Österreich kehrte sie nur mehr zu Vorlesungen und Vorträgen zurück. Wer dieser Wissenschafterin begegnete, wie etwa bei der Ehrung an ihrem 91. Geburtstag, musste begeistert sein. Wegen ihres "publizistischen Gesamtwerkes" erhielt sie den Bruno Kreisky Buchpreis. Da konnte man ermessen, was hier nicht nur der Sozialdemokratie, sondern auch Österreich, verloren gegangen ist.
Doch gab es auch Überlegungen von emigrierten Spitzenpolitikern, wie zum Beispiel von Hugo Breitner, der sich nichts sehnlicher wünschten, als in die alte Heimat heimzukehren um hier zu sterben. Es war ihm nicht vergönnt. Hugo Breitner schätze die Lage in Österreich, wie aus seinem Briefwechsel hervorgeht, den er mit Norbert Liebermann führte, folgendermaßen ein:
"Es ist zweifellos, dass diesmal ein noch größerer Mangel an geschulten Kräften sein wird als 1918. Nicht nur bei den Sozialdemokraten, sondern im ganzen Lande, weil die letzten elf Jahre in jeder Beziehung unfruchtbare waren und zudem noch alle Nazi, die in der Wirtschaft und Verwaltung höhere Stellen einnahmen, entfernt werden müssen
Gleichzeitig muss der unvollständige staatliche Apparat ergänzt werden. All' das wird sich sehr fühlbar machen, zumal natürlicher und gewaltsamer Tod etc. Wunden gerissen haben. Trotzdem halte ich für äußerst unwahrscheinlich, daß man auf mich zurückgreifen wird. An und für sich werden Personen, welche die schweren Jahre fern vom Schuss und vergleichsweise im Wohlleben verbracht haben, missgünstig angeschaut werden. Insbesonders die Sieger. Den Juden wird man wahrscheinlich nach den grauenhaften Ereignissen zubilligen, dass sie nicht anders handeln konnten. Dafür werden sie aber eben als Juden unerwünscht sein. Darüber darf man sich keiner Täuschung hingeben, dass der Antisemitismus, keine Hitler'sche Erfindung, auch in der Nachkriegswelt Russland ausgenommen daheim sein wird.
Insoferne Juden überhaupt nach Österreich gehen werden, wird es sich nur ausnahmsweise um Personen handeln, welche sich ansässig machen wollen. Es werden zumeist solche sein, die Schadenansprüche geltend machen werden, was zur Beliebtheit nicht beiträgt. Die begangenen Grausamkeiten mögen von der Bevölkerung nicht gutgeheißen werden, aber an der Praxis den jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten, an den Stellen jüdischer Bank- Versicherungs- und Privatbeamter, an der Arisierung jüdischer Geschäfte, an der Beschlagnahme jüdischer Häuser, Wohnungen, Einrichtungen, haben sich tausende schmunzelnd bereichert. Nur daran nach der nazistischen Niederlage erinnert zu werden, ist schon peinlich. Geschweige denn, vom Raub etwas wieder zu erstatten. Nach meinem Empfinden kann die drüben vorwaltende Stimmung etwa so ausgedrückt werden: Das Einzige, was wir dem Hitler verdanken, ist, dass wir die Juden losgeworden sind. Und die lassen wir auch nicht so leicht wieder herein. Es darf auch nicht vergessen werden, dass in Österreich und mutmaßlich auch in Wien eine Koalition verwaltet und dass so die Zustimmung aller Partner für eine solche Maßnahme erforderlich ist. Die Christlichsozialen dürften sie nicht geben. Sollte ich mich irren, umso besser. Es würde beweisen, dass die Denkweise nicht so ist, wie ich sie einschätze und mir wäre es eine echte, große Freude, zum Schlusse noch etwas Nützliches leisten zu können. Bloß auf den Tod zu warten ist keine befriedigende Beschäftigung
Wer wirklich fehlen wird, ist Danneberg. Sein Tod ist ein furchtbarer, unersetzlicher Verlust. Es gibt keinen, der ihm an kristallklarem Denken, an Klugheit, an unbeirrbarer Treue und Gerechtigkeit, an zäher Geduld, an der Kunst Gegensätze auszugleichen gleich kommt und er wäre überstrahlt von den durchgemachten bitteren Leiden
"
Dass der Antisemitismus auch nach den schrecklichen Erfahrungen während der Nazizeit nicht ausgestorben ist, bestätigten die Reaktionen zum Beispiel im Zuge des Bundespräsidentenwahlkampfes 1985/86. Dieses Jahr 1985 war ein Wendepunkt in der Geschichte Österreichs. Der Antisemitismus seit 1945 war eher ein klammheimlicher, salonfähig wurde er erst im Zuge der so genannten "Waldheim-Campagne". Äußerungen, wie etwa die des Justizsprechers der ÖVP Dr. Michael Graff "solange nicht erwiesen ist, dass er eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem" oder "das geht ja von gewissen Kreisen an der Ostküste aus" Wobei mit der "Ostküste" der damalige Vorsitzende des "Jüdischen Weltkongresses" Bronfman gemeint war und in Österreich auch so verstanden wurde. Erinnern wir uns auch daran, dass die antisemitische Note der Wahlen im Jahr 1970 und von den anzusprechenden Wählern durchaus so verstanden, geführt wurde. Auf grünem Hintergrund auf welchem sich der Kopf des damaligen Bundeskanzlers Dr. Josef Klaus befand, stand "Ein echter Österreicher". Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch Flugblätter, auf denen darauf hingewiesen wurde, dass der Gegenkandidat Dr. Bruno Kreisky "ein schwedischer Exilpolitiker" sei. In den, der ÖVP nahe stehenden Zeitungen erschienen damals als bezahltes Inserat ein faksimilierter Kopf der russischen Zeitschrift "Prawda" und der Hinweis, dass, sollte die Sozialistische Partei gewinnen, es zur Verstaatlichung, zur Kollektivierung und Enteignung der Bauern käme.
(das war wohl zu einer zeit, als haltlose pensionsversprechungenen noch nicht en vogue waren...)
Damit wären die aus der Zeit der Ersten Republik bekannten Phrasen und Denkmuster wieder zusammengeführt. Der Antimarxismus oder Antibolschewismus und der Antisemitismus. Behauptete doch der damalige Vizekanzler und Handelsminister Dr. Fritz Bock immer wieder: die "Roten" haben immer schon auf die Diktatur hingearbeitet. Und als Beleg dafür verwies er auf das "Linzer Programm" der SDAP. Ich nehme nicht an, dass Fritz Bock das Programm jemals gelesen hat. Wollen wir jenen "Beweis", jene Stelle aus dem Linzer Programm im Original zitieren:
"
Nur wenn die Arbeiterklasse wehrhaft genug sein wird, die demokratische Republik gegen jede monarchistische oder faschistische Gegenrevolution zu verteidigen, nur wenn das Bundesheer und die anderen bewaffneten Korps des Staates auch dann die Republik schützen werden, wenn die Macht in der Republik durch die Entscheidung des allgemeinen Wahlrechtes in die Hand der Arbeiterklasse fällt, nur dann wird es die Bourgeoisie nicht wagen können, sich gegen die Republik aufzulehnen, nur dann wird daher die Arbeiterklasse die Staatsmacht mit den Mitteln der Demokratie erobern und ausüben können.
Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftsleben, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen
"
Soweit besagte Stelle aus dem "Linzer Programm" von 1926. Wie gesagt, "Antimarxisten" vom Zuschnitt eines Fritz Bock's blieb es vorbehalten daraus die "Diktatur des Pöbels" abzuleiten.
Bruno Kreisky, ein Mann, der schon in der Ersten Republik als Bildungsfunktionär an führender Stelle der SAJ aktiv war, er hat damals als junger Student und Obmann der Ortsgruppe Wien-Wieden wichtige Organisationsarbeit für das Jugendtreffen (1929) geleistet, entgegnete derartigen Angriffen, wie sie aus den Reihen der konservativ-klerikal-monarchistischen ÖVP Anhängerschaft kamen, in seiner Grundsatzrede am Parteitag 1979 folgendes:
"Spießbürgerlicher Antimarxismus
Und wie immer man heute zu verschiedenen der Lehren und Erkenntnisse stehen mag, eines ist sicher: Karl Marx gehört zu den großen Erscheinungen der modernen Geschichte, und niemals vorher hat das Wirken eines Gelehrten und Marx war primär ein Gelehrter solche gewaltigen Massen bewegt. Aber unbestritten ist seine historische Rolle in der Ideengeschichte der Menschheit. Gemessen an der Einmaligkeit dieser Erscheinung, ist insbesondere der österreichische "Antimarxismus" ein klägliches spießbürgerliches Phänomen. Ich für meinen Teil und ich stehe nicht an, das offen zu sagen würde mir viele Erscheinungen, mit denen ich in meinem Leben immer wieder konfrontiert wurde, nicht erklären können, viele Probleme hätten sich nicht bewältigen lassen, wäre ich nicht in die Schule jener Männer gegangen, die mich unter anderem auch zu Marx hingeführt haben, zu seiner Gedankenwelt und zu seinen Erkenntnissen. Nichts ist mir mehr zuwider, als jene leichtfertige Art, mit der oft Menschen in der Politik Gedankengut über Bord zu werfen bereit sind aus schierem Opportunismus."
Und wenn Ignazio Silone in seiner grundlegenden Arbeit über den Faschismus unter anderem bemerkt, dass "nicht die, welche mit roten Fahnen, geballten Fäusten und die Internationale singend" das herrschende System stürzen würden, sondern jene, welche mit Reformen eine andere, eine humanere Gesellschaft vorbereiten helfen, für die Herrschenden die größere Gefahr darstellen. Das erinnert wiederum an das alte Victor Adler-Wort, dass nur jede Reform den Wert hat, was an Revolutionärem in ihr steckt.
Einer der wohl bedeutendsten Kulturpolitiker der Zweiten Republik, der in den Reihen der SPÖ wirkte, war ohne allen Zweifel Fred Sinowatz. Sicher war es für ihn schwer, nach dem "Sonnenkönig" (so die journalistische Bezeichnung für Kreisky; auszusuchen wäre noch, ob diese Bezeichnung aus Häme oder Bewunderung gemacht wurde) zu bestehen. Doch folgen wir den Ausführungen von Fred Sinowatz, die er bei der Bundesbildungskonferenz im Jahr 1976 tätigte:
"Ich rede hier sehr gern über Kulturpolitik, wie ich ja überhaupt gern die Gelegenheit wahrnehme, vor Sozialisten das Thema Kulturpolitik anzuschlagen. Deren Bedeutung wird leider nicht immer in unserer Partei erkannt. So versuche ich es schon seit langem, auf jede mögliche Weise ein gewisses Interesse für Kulturpolitik zu schaffen und den Genossen klarzumachen, dass Kulturpolitik sehr wohl zur Politik gehört, ja sogar einen wesentlichen Teil unserer Politik ausmacht oder ausmachen sollte. Freilich, wir dürfen uns hier alle keiner Illusion hingeben, solange nicht bestimmte wesentliche soziale Fragen weitgehend bewältigt sind, wird für weitergehende Fragen, für unsere kulturpolitischen Ziele, kein rechter Platz sein in der parteiinternen Diskussion, und auch die Gesellschaft wird sich nicht sehr intensiv damit beschäftigen wollen.
Kulturpolitik sollte daher für uns nicht etwas Abgehobenes, etwas Abstraktes sein, das im luftleeren Raum angesiedelt ist. Kulturpolitik ist keins preziöse Spielerei, keine Verzierung des Lebens uns übrigens sollte auch die Bildungstätigkeit der Partei nicht etwas Abstraktes, etwas von der Partei Abgehobenes sein. Bildungspolitik als preziöse Spielerei einiger weniger Interessierter und Wissender das bringt wenig."
...mhm...
Mit diesem Ausflug über Grundsätze und Kulturpolitik sind wir wieder zum Ausgang unserer Erörterungen zurückgekehrt. Denn wer nichts über die eigene Geschichte weiß, nichts von den Mühen und Kämpfen um die Besserstellung der arbeitenden Massen kennt, ist dazu verurteilt, ähnliches wieder zu durchleiden. Wahlergebnisse, wie die der Arbeiterkammerwahl durch Gesetze zu "korrigieren" und offensichtliche Verfassungsbrüche sind ein Weg dahin. Denn eine andere Politik kann nicht abrupt, sondern nur Schritt für Schritt erfolgen. Das "Reinwaschen" des Engelbert Dollfuß ist nur eine Vorstufe dazu.
Natürlich wurden immer wieder Versuche unternommen Engelbert Dollfuß zu rehabilitieren. Diese Versuche waren lange Zeit nicht von Erfolg gekrönt. Doch heute, wo die Nachfolgeorganisation der Klerikalfaschisten
-P ) sämtliche Machtpositionen im Staat besetzt hält, scheint der Erfolg sofern wir nichts dagegen tun wahrscheinlicher zu werden. Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, ist die Herausgabe der im Jahr 1949, ich scheue es nicht auszusprechen, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienene Broschüre, das Gebot der Stunde.
Peter LHOTZKY
Wien, im Juni 2003